piwik no script img

Kohl auf Eis und Gorbi im Aus

■ SPD will Gorbatschow im September zum Ehrenbürger machen/ Für Diepgen hat Kohl Priorität/ CDU: »Nicht Gorbatschow, Reagan wollte als erster die Mauer aufmachen«

Berlin.

Wer Ehrenbürger werden

darf und wer nicht, darüber bahnt sich jetzt ein Streit zwischen der SPD und dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) an. Grund: Die SPD will, daß Michail Gorbatschow noch im September die Ehrenbürgerwürde verliehen wird. Diepgen ist dagegen. Die Ehrung für Gorbatschow sei »kein heißes Thema«, wehrte Diepgen-Sprecher Dieter Flämig gestern ab. »Der nächste, der dran ist, ist der Bundeskanzler.«

Wann Kohl dran ist, mochte Flämig nicht verraten. In Diepgens Umgebung wird der 3. Oktober, der zweite Jahrestag der deutschen Einheit, als »Wunschvorstellung« genannt. Gorbatschow dagegen sollte nur dann Ehrenbürger werden, wenn Ronald Reagan gleich mitgeehrt werde, sagt Flämig. Gorbatschow sei »jung genug«, um noch eine Weile zu warten. Diese Auffassung würden auch »viele Unionsleute« vertreten. »Das ist richtig«, bestätigt CDU- Fraktionssprecher Markus Kauffmann. »Reagan hat als erster gefordert, die Mauer niederzureißen. Gorbatschow ist erst lange danach darauf gekommen.«

SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt will sich mit diesen Auskünften nicht zufriedengeben. Vom 15. bis zum 17. September sei der ehemalige SU-Präsident ohnehin zur Tagung der Sozialistischen Internationale in Berlin. Presseleute aus aller Welt wären in der Stadt. Gorbatschow bei dieser Gelegenheit die Ehrenbürgerwürde zu verleihen wäre nicht nur eine »wichtige Geste«, sondern auch eine »riesige Chance für Berlin«, glaubt Staffelt. »Für die Stadt«, so Fraktionssprecher Peter Stadtmüller, »wäre das eine internationale PR-Nummer sondergleichen.« Würde außerdem auch der Kanzler geehrt, würde das bei Staffelt nicht auf Einwände stoßen. »Kohl ist ja längst beschlossen«, flapst der Fraktionschef, »er liegt nur seit eineinhalb Jahren auf Eis.« Freilich, so schränkt der Fraktionschef ein, müßte Diepgen dann den Termin für Kohls Ehrung deutlich vorverlegen. Sonst käme nämlich Gorbatschow in den Genuß einer Ehre, die eigentlich dem Kanzler zugedacht war: Er sollte Nummer 100 auf der Ehrenbürger-Liste werden. Zur Zeit übersteigt die Zahl der Ehrenbürger die 100, doch die Liste steht ohnehin seit geraumer Zeit zur Bereinigung an. Streicht man einige anrüchige Namen, die noch aus SED-Zeiten stammen, käme man auf dann genau 99 Ehrenbürger.

Die »bereinigte Liste der Ehrenbürger« ist jedoch immer noch nicht fertig. Vielleicht, so heißt es, fliegen einige doch noch raus, die eigentlich drinbleiben sollten: etwa der Kosmonaut Sigmund Jähn, der als erster Deutscher im Weltraum war, als ehemaliger Generalleutnant der NVA jedoch Anstoß erregt. Ob wirklich 99 übrigbleiben — das ist immer noch offen. hmt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen