: Können subliminale Botschaften den Willen beeinflussen?
■ Nachrichten vom Gehirn
Nachrichten vom Gehirn
Berlin (taz) — Dem Rätsel der subliminalen Botschaften — unterschwelligen, bewußt nicht wahrnehmbaren, akustischen oder visuellen Reizen — geht derzeit eine Forschergruppe der Universität Bremen nach. Haben die sublimen Botschaften tatsächlich die verführerische Wirkung, die der Volksmund ihnen nachsagt, etwa mit verschwörerischen Geschichten von heimtückischen Werbe-Kurzeinblendungen, mit denen Coca-Cola (oder andere finstere Großkonzerne) die Kundschaft ködern? In der Wissenschaft ist die Wirkung subliminaler Botschaften umstritten, erste Zwischenergebnisse des Bremer „Instituts für Psychologie und Kognitionsforschung“ allerdings zeigen, daß es sich bei der Wirkung solcher Botschaften um mehr als nur einen Placebo-Effekt handelt: vor allem Menschen in Konflikt- und Krisensituation erwiesen sich als besonders ansprechbar. Dies scheint mit einer Tendenz in den USA übereinzustimmen, wo der Einsatz unterschwelliger Botschaften gegen Ladendiebstähle bereits weit verbreitet ist. Nach einer Studie des Fachblatts „Psycho-Markt“ konnten Ladendiebstähle durch den Einsatz von Subliminals um über 50 Prozent reduziert werden — potentielle Ladendiebe sind, dank ihrer geradezu klassischen Krisensituation, offenbar besonders aufnahmefähig für diese Art von unhörbarer Einflüsterpropaganda.
Da saubere wissenschaftliche Vergleichsuntersuchungen über die Wirksamkeit subliminaler Botschaften bisher fehlen, darf man auf den Abschluß der Bremer Studie gespannt sein. Auch wenn damit längst nicht alle Nüsse geknackt sind, die das Gehirn seinen Benutzern immer noch aufgibt: Die synaptische Vielfalt unter der Schädeldecke bleibt nach wie vor ein ziemliches Mysterium. Denn es ist z.B. keineswegs so, daß es unbedingt sublimer Befehle an das Unterbewußte bedarf, um das Gehirn etwa vom Willen zum Diebstahl abzubringen. In Skandinavien zum Beispiel wurden ähnliche Erfolge mit penetrant aufdringlichen Botschaften erzielt: Psychologen hatten überall im Kaufhaus lebensgroße Papp-Polizisten plaziert und festgestellt, daß die stummen Ordnungsdiener äußerst effektiv arbeiteten — die Ladendiebstähle gingen deutlich zurück.
„Die Welt“, so der Philosoph Schopenhauer, „ist meine Vorstellung“ — kann ich also die Welt verändern, indem ich meine Vorstellungen verändere? Was bei vielen Ladendieben funktioniert — kaum wird ihnen die Botschaft „Du bist ehrlich, du stiehlst nicht“ in's Hirn projeziert, können sie sich nicht mehr vorstellen, etwas mitgehen zu lassen — kann durchaus auch für die Allgemeinheit gelten, wer schließlich hätte nicht schon mal irgendwo etwas geklaut. Wie aber läuft das Sich-Vorstellen von Vorstellungen ab? Worüber die Neuro-Wissenschaft nach wie vor rätselt ist im Brainspace Caf auf dem Freiburger Theaterfestival „Virtuelle Rituale“ vom kommenden Wochenende an Gegenstand einer „learning by doing“-Performance. Mit einer synästehtischen Mischung aus Kaffeklatsch und Workshop, Live-Demonstration und Vortragskunst soll den Gästen die Vorstellung nahegracht werden, nicht nur einfacher Gehirnbesitzer zu sein, sondern zum aktiven Gehirnbenutzer zu werden: „Gehirnbesitzer sein heißt, den Mentalspace aus Bildern, Tönen und Identitätsmonologen als gegebene Realität zu empfinden, bzw. zu erleiden, ihre Beschränkungen zu ignorieren und sie dennoch für die ungetrübte Wahrheit zu halten. Gehirnbenutzer sein heißt, über dieselben Faktoren nuanciert Regie zu führen und von Augenblick zu Augenblick die neuronalen Modalitäten zu wählen, mit denen die Welt geformt, verändert und erweitert wird.“ Gastgeber im Brainspace Caf ist der taz-Kolumnist und Klartraumtänzer Micky Remann, der am 2. und 3.September zum „Somnambulen Salon“ lädt — einer luziden Rede- Reise durch den „Public-Dream- Dämmerzustand“. Rund ums Hirn, seine Simulationen und Stimulationen, drehen sich auch die 20 weiteren Veranstaltungen des Cafs — von Neuro-Disco bis Mind-Machines, von Biofeedback bis Cyberspace. Zwischendurch: nichtvirtuelle Bewirtung. Geöffnet während des gesamten Festivals (29.8. — 5.9, Festivalbüro: AAK, Wilhelmstr.15, Freiburg, Tel: 0761 — 35344)
„Ötzi“, der in den Südtiroler Alpen entdeckte, 5.300 Jahre alte Gletschermann, hatte halluzinogene Pilze bei sich — was für die Medien nur eine Kurzmeldung wert war („Ötzi war high“), gilt Experten als Sensation: der Fund belegt die umstrittene Theorie, nach der bewußtseinserweiternde Pflanzen in der Evolution des Gehirns und der Kultur eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die „Pflanzen der Götter“ als Wurzeln der Kultur ist eines der Themen, die auf dem Kongreß des „Europäischen Collegiums für Bewußtseinsstudien“ (ECBS) in Göttingen zur Sprache kommen werden. Das ECBS ist ein 1985 gegründetes multidisziplinäres Forum zur Erforschung veränderter Bewußtseinszustände, dem Psychiater und Mediziner, Biologen und Pharmazeuten, Anthropologen und Kulturwissenschaftler aus Europa und den USA angehören. Matthias Bröckers
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