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■ König Hassan II. ist tot. Er sei ein großer Friedensstifter gewesen, heißt es in den Beileidsbekundungen aus aller Welt. Doch tatsächlich war er zwar Nato-Verbündeter, doch auch einer der brutalsten Herrscher der arabischen Welt  Aus Rabat Reiner WandlerDer König der Grausamkeiten

„Al Emir al Mumenin“ nannte man den König von Marokko – den Herrscher aller Gläubigen. Nun ist Hassan II. tot. Am Freitag abend trat sein Sohn, Thronfolger Sidi Mohammed, vor die Kamera und bestätigte: Der 70jährige König sei um 16.30 Uhr im Avecinna-Hospital von Rabat an einer Lungenentzündung gestorben.

Während aus dem In- und Ausland Kondolenztelegramme mit Lobeshymnen auf „den großen Staatsmann unserer Tage“ eintrafen, blieben im Land die Bilder der öffentlichen Trauer aus. Anders als 1961, beim Tod von Hassans Vater, Mohammed V., weinten diesmal nicht Abertausende auf den Straßen. Und mancher Oppositionelle im europäischen Exil ließ gar die Sektkorken knallen.

Hassan II., 17. König der Dynastie der Aleviten, berief sich auf seine direkte Abstammung vom Propheten Mohammed. „Als ich den Thron bestieg, sagten viele Leute, daß ich dort nicht länger als sechs Monate aushalten würde“, gestand Hassan II. einmal seinem Freund, König Juan Carlos I. von Spanien.

Die Zeit seiner Thronbesteigung war unruhig. Erst fünf Jahre zuvor war Marokko von Frankreich unabhängig geworden, und im benachbarten Algerien herrschte Krieg. Parteien und Gewerkschaften in Marokko stellten sich gegen die Monarchie. In Teilen der Armee war der 32jährige neue König unbeliebt. Bereits als 7jähriger wurde Mulay Hassan zum Oberst der Armee ernannt. Mit 14 nahm er an einem Treffen zwischen Churchill und Roosevelt teil; mit 18 wurde er Kronprinz. Sechs Jahre später, während der Wirren der Unabhängigkeitsbestrebungen, folgte der Thronfolger seinem Vater ins Exil. Nach der Unabhängigkeit 1956 stand Hassan den Truppen vor, die mit unbeschreiblicher Grausamkeit die Berberaufstände im Rifgebirge niederwarfen.

Als er 1961 selbst an die Macht kam, konnte der junge König seinen Thron mit Härte und viel Glück halten. Parteien und Gewerkschaften, die einst die Unabhängigkeit erstritten hatten, wurde nach und nach aus dem politischen Leben gedrängt, ihre Führer inhaftiert oder verbannt. Bis ins Ausland reichte der lange Arm der marokkanischen Macht: Einer der bekanntesten Linksoppositionellen des Landes, Ben Barka, wurde 1965 in Paris entführt und dann ermordet. „Die öffentliche Ordnung wird nicht mit Croissants aufrechterhalten“, verteidigt sich Hassan II. in seinen 1993 erschienenen Memoiren.

Viele aus der einstigen Befreiungsarmee stammenden Offiziere hatten eine andere Vorstellung von einem unabhängigen Marokko. Zweimal entkam Hassan nur knapp einem Staatsstreich. Nach dem zweiten Versuch am 15. August 1972, als die Luftwaffe die Boeing des Königs beschoß, war die Rache des Monarchen furchtbar: Der Anführer der Verschwörung, General Mohammed Oufkir, „nahm sich das Leben“, so zumindest die offizielle Version. Seine Familie wurde 20 Jahre eingesperrt. Das Schicksal der restlichen Beteiligten wurde erst 19 Jahre später bekannt. Dank internationaler Untersuchungen mußte Hassan ein Spezialgefängnis in Tazmamart im Süden öffnen: 58 Offiziere waren in kleinsten Zellen eingepfercht worden; 30 von ihnen überlebten diese Tortur nicht.

Nach der Säuberungswelle verstand es Hassan II., die Armee zu beschäftigen. Diktator Franco im benachbarten Spanien lag im Sterben, der Zeitpunkt für eine Annexion der im Süden von Marokko liegenden spanische Kolonie Westsahara war günstig. 350.000 Menschen überschritten, einem Aufruf des Königs folgend, 1975 die Grenze mit dem Koran in der Hand. Ein jahrelanger Wüstenkrieg gegen Polisario, die Befreiungsbewegung der dortigen Bevölkerung, begann. Selbst heute, acht Jahre nach der Verkündung eines Waffenstillstands, kostet die Besetzung des Landstrichs die Marokkaner täglich eine Million Dollar. Die Plünderung der Reichtümer der Westsahara, Phosphat und Fischbänke im Atlantik, machen dies nur teilweise wieder wett. Die Westsahara trägt zur Verarmung des restlichen Marokkos bei. Doch kaum einer wagte es, den Träumen des Königs von einem Großmarokko bis hin zum Senegalfluß offen zu widersprechen.

„Ein Mann des Friedens“, lautet das Lob, das Hassan II. jetzt nach seinem Tod international zugedacht wird. Er galt als Verteidiger westlicher Werte gegenüber dem blockfreien sozialistischen Algerien und den Befreiungsbewegungen Afrikas. Marokko war und ist der treue Verbündete an der Nato-Südflanke. In der arabischen Welt verstand er sich auf die Gratwanderung zwischen Solidarität mit den Palästinensern und einer Aussöhnung mit Israel. In den letzten Jahren bewies Hassan auch innenpolitisch Fingerspitzengefühl. Eine Verfassung von 1996 ermöglichte erstmals eine Regierung der einstigen Opposition unter dem Sozialistenführer Abderrahmane Youssoufi, der in den 60er Jahren in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war. Seither lautet das Schlagwort: „Öffnung“. Die Erfolgsbilanz dieser neuen Politik fällt dünn aus. Amnesty international zählt 500 Verschwundene, meist Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung Polisario. Marokkos Islamistenführer, Abdessalam Yassine, erduldet seit knapp 10 Jahren Hausarrest, der Linksintellektuelle Abraham Serfaty wartet seit 1991 vergebens auf die Möglichkeit, aus dem Pariser Exil zurückzukehren.

Während Hassan II. mit Familie und Hofstaat ein luxuriöses Leben führten, verschärften sich die sozialen Probleme immer mehr. Die Arbeitslosigkeit ist immens, die Jugend träumt von einem Leben im Ausland. Allein im vergangenen Jahr haben 1.000 Menschen beim Versuch, Europa auf einem kleinen Fischerboot zu erreichen, in der Meeresenge von Gibraltar ihr Leben verloren. Die Armut verschafft den Islamisten Zulauf.

Thronfolger Mohammed VI. gilt als Bewunderer des spanischen Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie. Es wird ihm aber nicht leicht werden, Marokko auf ähnlichem Weg in ruhige Gewässer zu führen.

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