: König Arturs letzter Kampf
Artur Grigorian ist seit 1996 Box-Weltmeister. Da er im Leichtgewicht kämpft, ist das allerdings nur unter Fachpublikum bekannt. Heute droht ihm das Karriereende
BERLIN taz ■ Es ist nun wohl an der Zeit, Abschied zu nehmen von einem König. Sein Reich ist ein Seilgeviert, nur fünf bis sechs Quadratmeter groß. Er herrscht hier seit fast acht Jahren. Sein Reich ist der Boxring, denn Artur Grigorian, genannt König Artur, ist Profiboxer – und er ist Weltmeister. Nun haben auch gekrönte Häupter oftmals ein Problem: Sie erkennen nicht, wann die Zeit für sie gekommen ist, freiwillig abzutreten. Das könnte auch bei König Artur der Fall sein. Es ist nämlich mehr als wahrscheinlich, dass er, wenn er heute in Mashantucket/Connecticut sein Königreich betritt, um seinen Titel zu verteidigen, feststellen muss, dass seine Zeit vorbei ist.
Grigorian, seit April 1996 Weltmeister im Leichtgewicht nach WBO-Version, ist mit seinen 36 Jahren ein Boxopa in dieser Gewichtsklasse. Seinen letzten Kampf gegen den Polen Matt Zegan, bei dem er aus mehreren Cut-Verletzungen stark blutete, gewann er nur deshalb, weil die drei Punktrichter die Einzigen waren, die ihn seinen Titel erfolgreich verteidigen sahen. Alle anderen sahen einen alt und müde wirkenden Boxer, der ein ums andere Mal Schläge kassierte, die er vor noch nicht allzu langer Zeit noch ausgependelt hätte.
Die Entscheidung des Kampfgerichts wurde von den Zuschauern mit Pfiffen quittiert – und selbst Veranstalter Klaus-Peter Kohl von der Universum Box-Promotion räumte ein: „Es bleibt ein fader Beigeschmack. Jetzt wird gemutmaßt, wir würden die Kämpfe verschieben.“ Man kann aber auch Grigorians Einschätzung teilen: „Ich hatte Glück. Es war mein schwächster Weltmeisterschaftskampf.“ Seine Leistung führte er auf einen Sehnenabriss in der rechten Schulter zurück.
Die (vor)letzte Vorstellung von Grigorian sollte aber nicht als Maßstab dienen, an dem er und seine Karriere zu messen wären. Denn er war ein ganz Großer unter den Leichten. Der in Usbekistan geborene Armenier Grigorian war schon ein hervorragender Amateurboxer, in 384 Kämpfen blieb er 361-mal Sieger und wurde unter anderem Vizeweltmeister der Amateure. Dann, 1994, wurde der gelernte Sportlehrer Profi – und bereits 2 Jahre und 19 Kämpfe später WBO-Weltmeister im Leichtgewicht. Grigorian war ein attraktiver Boxer: technisch versiert und mit hartem Schlag. Er bewegte sich elegant und suchte den vorzeitigen Sieg. Und er blieb bis jetzt in allen seinen 36 Profikämpfen ungeschlagen, 22-mal gewann er vorzeitig.
Aber Grigorian hatte auch ein nicht wettzumachendes Manko: Er ist Leichtgewichtler. Das Publikum, insbesondere in Deutschland, interessiert sich kaum für die unteren Gewichtsklassen. Langsamere und schwerere Boxer sind hierzulande die Publikumsmagnete. Daher fanden auch nicht wenige von Grigorians Titelkämpfen nur im Vorprogramm statt. Auch international blieb Grigorian die allgemeine Anerkennung versagt, obwohl er als einer der talentiertesten Boxer seiner Gewichtsklasse galt. Dies hatte mehrere Gründe: Ein Grund dafür war sein WBO-Titel. Die World Boxing Organisation ist nur der viertgrößte Weltverband, außerhalb Europas wird sie nur im Ausnahmefall oder gar nicht wahrgenommen. Ein weiterer Grund war die Auswahl seiner Gegner. Grigorian boxte klaglos gegen jeden, den man ihm in den Ring stellte.
Wie jeder große Champion wünschte auch er sich zwar, seine Kräfte mit anderen Weltmeistern messen zu können. Stattdessen aber boxte er gegen ein Heer handverlesener Herausforderer und verschliss sich dabei. Nur ein Gegner bei seinen Titelverteidigungen hatte, bevor er mit ihm in den Ring stieg, überhaupt schon mal einen WM-Kampf gewonnen, und zwar exakt einen. Und nur ein einziger von seinen Herausforderern konnte nach seiner Niederlage gegen ihn später doch noch Weltmeister werden, wenn auch nur für ein paar Monate.
Dabei hatte Grigorian alles, um seine Gewichtsklasse zu dominieren. Er hatte das Talent, die Disziplin, die technischen Möglichkeiten und die Schlagkraft. Aber man ließ es ihn erst gar nicht versuchen. Zum tragischen Helden aber taugt er auch nicht. Grigorian ist ein viel zu pragmatischer und bodenständiger Mann, um verpassten Chancen nachzutrauern. Er hatte sein Auskommen, er hat seine Familie, Frau und drei Töchter, und er leistet sich sogar den Luxus eines Mercedes-Cabrios.
Nun aber, am vermutlichen Ende seiner Karriere, setzt man ihm einen Boxer vor, der die Unzulänglichkeiten aller seiner vorherigen Gegner mehr als aufwiegt: den Brasilianer Acelino „Popo“ Freitas. Freitas blieb in allen seinen 34 Kämpfen unbesiegt und schlug dabei 31 seiner Gegner k. o. Er ist seit 1999 Weltmeister der WBO und seit 2002 auch WBA-Weltmeister im Junior-Leichtgewicht. Freitas ist also schlicht einer der besten Boxer der Welt und gilt zurzeit als unschlagbar.
Die 18. Titelverteidigung von Grigorian ist keine vom Verband angeordnete Pflichtverteidigung, sondern eine freiwillige Titelverteidigung. Das heißt: Grigorians Veranstalter Klaus-Peter Kohl, für den er seit fast zehn Jahren in den Ring steigt, arrangierte den Kampf. Offensichtlich glaubt Universum Box-Promotion, Freitas sei der richtige Gegner für einen Grigorian, der fast ein Jahr lang verletzungsbedingt pausieren musste und der in seinem letzten Kampf schwach aussah. Dabei sieht es auch noch so aus, als ob dieser vermutlich letzte Kampf des dienstältesten der zwei verbliebenen Weltmeister im Universum-Boxstall in eine Art schwarzes Loch der öffentlichen Wahrnehmung fällt. Das ZDF, Haussender von Universum, überlässt die Übertragung des Kampfes der Konkurrenz von „Premiere“. Auch der Veranstalter selber bemühte sich kaum um Publizität. Die sonst üblichen Pressemeldungen vor dem Fight blieben jedenfalls aus. Der wahrscheinliche Abschied von König Artur wird somit ein sehr leiser werden. UWE BETKER