Kochen mit "New Yorker"-Autor Buford: Der den Braten hören kann
Bill Buford, Koch und Autor des "New Yorker" präsentiert im schwäbischen Kirchentellinsfurt seinen Bestseller "Hitze" - und trifft seinen Bruder im Geiste.
Ein Mann fährt mit dem Roller durch New York. Auf dem Rücksitz ein geschlachtetes Schwein. Das er zu Hause zu 450 Mahlzeiten verarbeitet. Der Mann ist nicht irgendein kleiner Metzger, sondern ein großer Literaturkritiker. Bill Buford war Literaturchef des renommierten New Yorker. Dann hängt er von einem Tag auf den anderen den hochgeistigen Schreibtischjob an den Nagel, um sich am Herd und im Schlachthaus fleischlichen Genüssen hinzugeben. Er lernt Koch und schreibt darüber ein Buch: "Hitze. Abenteuer eines Amateurs als Küchensklave, Sous-Chef, Pastamacher und Metzgerlehrling" (Hanser Verlag). Mit dem Bestseller ist der 54-Jährige derzeit auf Lesereise durch Deutschland. Am Donnerstag war er zu Gast im schwäbischen Kirchentellinsfurt bei Tübingen.
Kirchentellinsfurt - never heard about it? Nicht doch, die Gemeinde am Neckar ist durch die taz-Kolumnen des dort wohnenden Journalisten Philipp Maußhardt so bekannt wie jenes gallische Dorf, in dem ein Druide den Zaubertrank kocht. Im örtlichen Gewerbepark wird zu Ehren von Mr. Buford gekocht. In einem riesigen Saal, in dem einst Textilmaschinen Tischdecken produzierten, wird an zwei Tischreihen für über hundert Gäste aufgetischt. Bewusst regional, denn Buford predigt die Reduktion aufs Einfache, Naheliegende.
Der Trend zur Globalisierung auch des Nahrungsmittelmarkts macht nicht nur saisonale Versorgungsrhythmen kaputt, sondern verändert zugleich Landschaften, lässt argentinische Rinderpampas entstehen, den Victoriasee samt Barsch umkippen, bringt die Geschmacks- und Esskultur auf den Hund. Bufords Mahnungen und "Supermarkt"-Kritik werden vor allem im "europäischen" New York und seit vorgestern eben auch in Deutschland gelesen.
Unter den Gästen waren viele Slowfood-Anhänger und ein Mann, der dem Autor nicht nur in der Staur ähnelte: Mit dem Stuttgarter Sternekoch Vincent Klink (bekennender Buford-Fan) trafen sich hier tatsächlich zwei Brüder im Geiste. Bei Pastete vom Wildschwein mit Apfel-Sellerie-Salat, Kutteln vom Alblamm und geschmorten Bäckchen vom schwäbisch-hällischen Spanferkel reichten sich Bill und Vinc quasi den Kochlöffel wie bei einem Staffellauf. Der napoletanische Hafenarbeiter versteht demnach mehr von gutem Essen als der Siemens-Manager, der sich zwar das Dreisternelokal leistet, aber keine Sinnlichkeit besitzt.
An den Töpfen dilettierten derweil die Hobbyköche sowie taz-Kolumnist Philipp Maußhardt und Ex-taz-Chefredakteur Norbert Thomma. Literaturkritikerin Gabriele von Arnim interviewt zwischen den Gängen den Literaturkritiker Bill Buford, der schon einmal aus dem Zeitungsbetrieb ausgestiegen ist und unter englischen Hooligans lebte. In dem 1992 erschienenen Buch "Geil auf Gewalt" beschreibt er, wie er in der Masse den Gewaltkick erlebte und zum Fantier wurde. Nun hat der Intellektuelle wieder die Sau in sich raus- und seinen Sinnen freien Lauf gelassen.
Es ist die Geschichte einer Obsession, Buford leckt im wahrsten Sinne des Wortes Blut und offenbart animalische Gelüste. 2002 macht er die Bekanntschaft des US-Spitzenkochs Mario Batali, in dessen Edelrestaurant "Babbo" lernt er die Hitze am Grillposten und den Adrenalinausstoß in Stoßzeiten kennen, lernt Karotten schnitzen, Teller ein ums andere Mal anrichten. Statt Enten entbeint er zunächst mal seinen Finger - "But I loved it". Und dann endlich erlebt er "magische Momente" und kann hören, wann ein Braten gar ist.
Seine Lehr- und Wanderjahre führen den Fan der italienischen Küche anschließend auf den Apennin und in die Toskana, zu den wesentlichen Dingen jenseits der Haute Cuisine: zu Polenta und Pasta, Lardo und Arista, Fenchel und Rosmarin. Hier hat er "absolute Glücksgefühle". Und er agiert beim Schlachten den alten Jagdtrieb aus: "Gib mir Blut!" Dennoch hat er aus einem archaischen Opfergedanken heraus Achtung vor den Tieren.
Nach zwei Jahren kehrt Buford zurück an seinen Schreibtisch beim New Yorker, nun als Food Writer. Er bemüht sich, seinen Lesern mehr Küchenbewusstsein beizubringen. Mit Vincent Klink, der gegen die Geschmacksverhunzung durch große Lebensmittelkonzerne kämpft, ist er sich einig, dass viele Leute, insbesondere junge, das Schmecken neu lernen, die Qualität von Nahrungsmittel erst erkennen müssen. Als ein Stück Lebensqualität.
Essen ist Kultur, Politik und Poesie, sagt von Arnim. Aber ganz so dogmatisch nimmt es der Glatzkopf Buford, den man auf den ersten Blick für einen bretonischen Bauern halten könnte, mit seiner Botschaft nun auch wieder nicht: "Have fun, keep well!" Und weil der Mensch ist, was er isst, verschmähen an diesem Abend manche die Kutteln. Sie sollten bei Buford den Trick nachlesen, wie man die Kaldaunen perfekt zubereitet: zweimal kochen, beim ersten Mal nicht salzen, einen Schweinsknochen zugeben. Ansonsten gilt: Bei Spaghetti mit Tomatensoße zeigt sich die Qualität des Kochs. Und wer die Hitze nicht verträgt, gehört nicht in die Küche.
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