Koalitionsstreit wegen USA-Kooperation: Atomstörfall in Indiens Regierung
Wegen des von Premier Singh angestrebten Atomdeals mit den USA verlassen die Kommunisten die Regierung.
DELHI taz Fast ein Jahr lang hat Indiens wichtigstes außenpolitisches Projekt der letzten zehn Jahre auf Eis gelegen. Nun geht alles ganz schnell: Schon am Donnerstag will Indiens Premier Manmohan Singh US-Präsident George W. Bush beim G-8-Treffen in Japan darum bitten, alles zu tun, um das indisch-amerikanische Nuklearabkommen möglichst bald abzuschließen. Damit bringt sich Indiens Premier innenpolitisch unter Druck: Denn ein Bündnis aus vier kommunistischen Parteien, das Singhs Regierungskoalition bislang im Nationalparlament toleriert hat, kündigte am Dienstag an, aus Protest die Unterstützung der Regierung zu beenden.
Das Abkommen würde es dem energiehungrigen Indien ermöglichen, legal Nukleartechnologie und atomaren Brennstoff zu importieren. Denn Indien ist mit internationalem Embargo belegt, seit es 1974 seinen ersten Atomsprengsatz außerhalb des Atomwaffensperrvertrags zündete. Dabei müsste Delhi jetzt keine größeren Konzessionen eingehen: Indiens Atomwaffenarsenal bliebe außer Reichweite internationaler Kontrollgremien wie der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien. Lediglich zivile Reaktoren müsste es fortan durch die IAEO inspizieren lassen. Dadurch würde Indien in die Riege der legalen Atommächte aufrücken und wäre in Asien gegenüber China deutlich gestärkt - wohl der Hauptgrund für das Angebot der USA.
Doch Indiens Kommunisten lehnen das Abkommen ab: Sie sehen darin einen "Ausverkauf indischer Interessen" und fürchten, die unabhängige Außenpolitik des Landes würde untergraben. Indien würde zum Handlanger des "US-Imperialismus". Die Kommunisten drohten der Regierung mit dem Ende der Unterstützung - und kassierten für diesen "antiamerikanischen Reflex" viele Medienschelte.
Auf die drohende Auseinandersetzung reagierte Singh so, wie in Indiens Politik häufig mit Konflikten verfahren wird: Er ließ den Nukleardeal fast ein Jahr lang unter den Tisch fallen und vermied Streit darüber mit den Kommunisten. Denn ihre Drohung hatte Gewicht: Nur mit den 59 kommunistischen Abgeordneten verfügt die Regierung im Unterhaus über eine einfache Mehrheit. Hinter den Kulissen handelte Singh die Unterstützung einer Regionalpartei aus, der Samajwadi Party des Ex-Verteidigungsministers Mulayam Singh Yadav mit 39 Abgeordneten, sowie einiger kleiner Parteien. Mit deren Stimmen könnte es dem Premier gelingen, bis zu den regulären Wahlen 2009 durchzuregieren.
Von Singhs Plan, mit dem Atomdeal nun doch voranzuschreiten, erfuhren die Kommunisten Ende vergangener Woche erst aus der Presse. Empört forderten sie die Regierung auf, sich bis letzten Montag zu erklären. Diese erwiderte, sie lasse sich keine Ultimaten stellen. Stattdessen sagte Singh einem Journalisten auf dem Flug nach Japan, er werde die USA darum bitten, das Abkommen in die Wege zu leiten.
Doch das könnte dennoch scheitern. Denn Singh haderte bis zur allerletzten Minute mit seiner Entscheidung. Bushs Amtszeit endet im Januar. Es ist alles andere als klar, ob eine künftige US-Regierung gewillt wäre, Indien einen so folgenreichen atomaren Freibrief auszuhändigen. Außerdem benötigt das Abkommen noch den Segen durch den US-Kongress und die IAEO sowie die Unterstützung sämtlicher 45 Staaten der Gruppe der Kernmaterial-Lieferländer, der auch Deutschland angehört. Spätestens daran könnte das Abkommen zerbrechen: Mehrere Staaten dieser Gruppe stehen der Idee, die illegitime Atommacht Indien im Konfliktherd Südasien ohne größere Auflagen mit Atommaterial zu beliefern, äußerst gespalten gegenüber.
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