Koalition verliert, Föderalismus gewinnt: "Vielfalt ist immer gut"
Am Sonntag beginnt eine neue Epoche für den Bundesrat – wenn Schwarz-Gelb bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.
BERLIN taz | Der Mann mit den buschigsten Augenbrauen der Republik erinnert sich nur ungern an die letzten Jahre seiner Regierungszeit. 1997 war Theo Waigel CSU-Bundesfinanzminister unter Helmut Kohl, und was auch immer er versuchte, um seine Steuerreform durch das Gesetzgebungsverfahren zu bekommen – es musste scheitern. Denn der schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag stand eine übermächtige SPD im Bundesrat entgegen. Und die blockierte alles.
Rund 13 Jahre später steht eine CDU/CSU-FDP Bundesregierung wieder kurz davor, sich nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen nicht mehr auf die zwischenzeitlich erlangte Mehrheit in beiden Kammern stützen zu können. Noch hat Schwarz-Gelb im Bundesrat mit 37 von 69 Stimmern mehr als die Hälfte der Stimmen. Doch wenn es am Sonntag bei den Landtagswahlen nicht mehr reicht, gehen die sechs Stimmen aus Nordrhein-Westfalen verloren. Denn auch wenn Jürgen Rüttgers in einer großen Koalition Ministerpräsident für die CDU bleiben kann, würde sich das Land in Zukunft in der Länderkammer neutral verhalten.
Für die Bundesregierung, die ähnlich wie 1997 eine Steuerreform plant, würde dies die Ausgangslage grundlegend verändern. Um die Mehrheit dafür oder für andere wichtige Gesetzesvorhaben wie die Neuregelung der Hartz-IV-Sätze im Bundesrat zu erlangen, wäre sie auf Schützenhilfe der SPD oder der Grünen angewiesen. Waigel scheiterte damals nach eigenen Worten an der Kompromisssuche, weil SPD-Chef Oskar Lafontaine eine "Verhinderungsstrategie" gefahren ist. Seine Erinnerungen an die Zeit beschrieb er diese Woche in einem Interview als "leidvoll". Für die aktuelle Situation befürchtet er: "Das Regieren wird nicht leichter."
Zumindest was die Koalitionen angeht, wird sich daran so schnell nichts ändern. In den Bundesländern gibt es mittlerweile bereits sieben unterschiedlichfarbige Bündnisse - dass eines davon bald wieder eine Mehrheit in beiden Kammern haben wird, ist unwahrscheinlich.
Stehen der deutschen Politik nach einer möglichen Niederlage von Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen also wieder Jahre der Blockade bevor? Nimmt die Politik möglicherweise sogar Schaden?
"Nein", sagt Hans-Peter Schneider vom Deutschen Institut für Föderalismusforschung der Universität Hannover, "Vielfalt ist immer gut für den Föderalismus." Bei vielen unterschiedlichen Koalitionen im Bundesrat sieht Schneider, der auch Sachverständiger in der ersten Bundeskommission zu dem Thema war, zwar "eine Stärkung des Bundestages, weil dieser die politischen und sachlichen Einzelinteressen der Länder leichter gegeneinander ausspielen kann".
Langfristig würde dies aber disziplinierende Wirkung auf die Länderregierungen haben: "Es entsteht ein Einigungsdruck untereinander." Überhaupt sei es ein Missverständnis, dass funktionierender Föderalismus an der Geschwindigkeit des Gesetzgebungsverfahrens gemessen werden kann. Schneiders Fazit - auch bei einer zunehmenden Zahl von Mehrheiten und Koalitionen: "Der Föderalismus gewinnt."
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