Knochenarbeit unter dem Mindestlohn : Rebellion aufm Acker
Seit letztem Jahr kämpfen georgische Erntehelfer:innen für den ihnen vorenthaltenen Lohn. Der Konflikt wird auch auf dem taz lab thematisiert werden.
Von TIGRAN PETROSYAN
taz lab, 23.03.22 | Niemand hatte damit gerechnet, dass gerade Saisonarbeiter:innen aus der Südkaukasusrepublik Georgien in Deutschland rebellieren würden. Doch seit Juni 2021 kämpfen georgische Saisonarbeiter:innen für den ihnen vorenthaltenen Lohn für ihre Arbeit auf einem Erdbeerhof am Bodensee.
Die Beschwerden über die schlechten Arbeitsbedingungen stoßen in der georgischen Heimat und in Deutschland zunehmend auf Resonanz. Inzwischen gehen die Erntehelfer:innen in beiden Ländern juristisch gegen georgische Arbeitsagenturen und deutsche Arbeitgeber:innen vor.
■ taz lab 2022 – Klima & Klasse, am 30. April 2022 ab 08.30 Uhr live im Stream auf tazlab.de
■ Tickets für das digitale taz lab 2022 erhalten Sie hier.
■ Das Programm des taz lab 2022 finden Sie hier.
■ Außerdem wöchentliche Berichte in der taz am Wochenende, im taz-lab-Infobrief und auf unserem Portal.
■ Fragen, Wünsche, Feedback – schreiben Sie uns: tazlab@taz.de
Arbeiten unter dem Mindestlohn
In vielen Arbeitsverträgen wird ein Mindestlohn von 9,35 Euro genannt. Das entspricht nicht dem gesetzlichen Mindestlohn. Allein das ist schon ein Verstoß gegen deutsches Recht.
Die Betroffenen werden jedoch nach Gewicht der geernteten Erdbeeren bezahlt: Drei Euro erhalten sie für 5 Kilogramm. Viele schaffen maximal 10 Kilogramm in einer Stunde, das kommt einem Stundenlohn von 6 Euro gleich.
Klage für Gerechtigkeit
Achtzehn Saisonarbeiter:innen haben das Arbeitsgericht Friedrichshafen ersucht, für sie eine Lohnklage einzureichen. Das Arbeitsgericht Ulm und die Kammer in Ravensburg haben die Lohnklage angenommen. Die mündliche Verhandlung ist auf den 4. März festgesetzt.
„Deutsche Hofbesitzer verstoßen gegen Gesetze und sie gehen unwürdig mit den georgischen Arbeitnehmer:innen um“, erzählt Tamila Gabaidze im Gespräch mit der taz.
Sie ist Rechtsanwältin des Gewerkschaftsbunds Georgiens (GTUC) in der Hauptstadt Tiflis und möchte auch die georgische Regierung vor Gericht bringen. Denn die Arbeitsverträge hat die georgische Staatsagentur für Arbeitsförderung abgeschlossen. Was bedeutet, dass sich diese Behörde um korrekte und rechtskonforme Arbeitsverträge kümmern muss.
Das Ziel der Klage ist, dass ihre Mandant:innen den Lohn erhalten, der ihnen gesetzmäßig zusteht. In jedem einzelnen Fall geht es immerhin um über 1.000 Euro. Diese Differenz müsse dann gegebenenfalls der georgische Staat bezahlen, findet Gabaidze.
Beliebtes Angebot
Seit dem 15. Februar 2021 erlaubt Deutschland georgischen Staatsbürger:innen, einer legalen Beschäftigung in der Landwirtschaft nachzugehen. Es handelt es sich dabei um ein Saisonprogramm, das maximal 90 Tage dauert. Somit ist Georgien das erste Land, mit dem Deutschland ein Drittstaatenabkommen geschlossen hat.
Letztes Jahr sollen sich nach Angaben des Verbands Ostdeutscher Spargelbauern auf 5.000 Stellen rund 80.000 Interessent:innen aus Georgien beworben haben.
Was passieren muss
Ein Artikel in der taz vom 25. Mai 2021 deckte erstmals die schlechten Zustände auf einem Erdbeerhof in Baden-Württemberg auf. Es ging dabei um arbeitsrechtliche Missstände wie auch um die Unterkünfte der Saisonarbeiter:innen.
Daraufhin besuchten lokale Hilfsorganisationen das Erdbeerfeld. Margarete Brugger, Beraterin der Organisation „mira – Mit Recht bei der Arbeit“ begleitet Erntehelfer:innen vor Gericht.
„Es ist wichtig, dass es Beratungsstellen und weitere Hilfsmöglichkeiten gibt, welche Arbeitnehmende dabei unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen und Missstände aufzuzeigen. Nur so kann die menschenwürdige Umsetzung bestehender und geplanter Arbeitsabkommen mitgestaltet werden“, sagt sie.
Sollte die eingereichte Klage erfolgreich sein, wäre das zumindest ein erster Sieg, der auch Arbeitskräfte aus Polen und den Balkanstaaten dazu ermutigen könnte, sich endlich zur Wehr zu setzen.
Tamila Gabaidze und Margarete Brugger werden auf dem taz lab über die Zukunft der Saisonarbeiter:innen in Deutschland sprechen.