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Archiv-Artikel

Kniebeugen für Buddha

Zen-Buddhismus für Eilige: Ein „Temple Stay“ im Land der Morgenstille bedeutet knallhartes koreanisches Klosterleben. Meditation, das ist hier erst mal Schmerz in Knie und Oberschenkel

VON STEFANIE BISPING

Der von diffusem Kerzenlicht erhellte Tempel verschwimmt vor den Augen. Die Haare hängen ins Gesicht, in den Ohren dröhnt es. Das Universum besteht aus der Matte, dem Gong und mir. Hinwerfen, Hände und Stirn auf den Boden senken, den linken Fuß über den rechten legen, in einer fließenden Bewegung zurück in die Senkrechte federn (unterwegs mit den Knien abstützen gilt nicht), Hände falten, verbeugen, wieder runter. 108 Kniefälle, einer für jede Sünde. Irgendwo in den 70ern verzähle ich mich. Aber darauf kommt es nun nicht mehr an. Nur nicht nachdenken, wie lange das noch geht. Sondern hoffen: dass ich auch wirklich so viele Sünden begangen habe.

Und das alles für einen Gott, der nicht mal meiner ist. Schuld ist der durchtriebene Bo Moon Seunim, der mühelos zu Boden federt, während Charggun Chugbi mit dem Gong unbarmherzig den Takt vorgibt. „108 Kniefälle schaffen schon Kinder recht gut“, hatte Bo Moon Seunim erklärt, der sich um die westlichen Besucher im Kloster Silleuksa kümmert. Richtig ernst werde es erst bei 3.000 Verbeugungen, für die Mönche sieben Stunden bräuchten, Laien um die zehn. Wer wollte das auf sich sitzen lassen? Also weiter: Gier, Wut und Torheit mit Muskelkraft und nötigenfalls auch dem allerletzten Atemzug aus dem Herzen vertreiben.

Die Quittung für diese Hybris folgt auf dem Fuß. Als uns um halb vier der markerschütternde Gong weckt – nach einem Abendessen, bei dem nichts übrig bleiben durfte, die vier Schüsseln mit eingelegtem Kohl ausgewischt und am Schluss gar das Spülwasser getrunken werden musste, nach gemeinsamem Lampionbasteln und wenigen Stunden Nachtschlaf auf blankem Boden –, können wir kaum aufstehen. Muskelkater? Dies müssen Muskelrisse sein. In Knie und Oberschenkel brennt Schmerz.

Es bleibt wenig Zeit, darüber nachzudenken. Wir müssen raus in die kühle Herbstnacht. Schnell in die klösterliche Kluft – graue Dreiteiler mit der Passform von Ein-Mann-Zelten. Hände vor dem Bauch falten, wie hier gewünscht wird, und in die Finsternis taumeln. Erst mal geht es in den Tempel, die verdammten Kniebeugen machen. Die schafft heute morgen keiner. Schwierig genug, die zitternden Beine zum Schneidersitz zu falten.

In der 1678 errichteten Gebetshalle ist es fast dunkel. Hinter einer Glasscheibe ruhen 250 Buddha-Statuen. Um wach zu bleiben, zähle ich sie zweimal. Die letzten Mönche schlurfen herbei. Zwei Tage dauert der Aufenthalt im Kloster. Gefühlte Zeit: mindestens vier. Nichts ist mit Entspannung und Einkehr in einer behaglichen Zelle im Land der Morgenstille, dazu ein wenig Muße und Meditation. Das hier ist knallhartes Klosterleben.

25 Prozent der Südkoreaner sind Buddhisten – etwa ebenso viele wie Christen. Die andere Hälfte der Bevölkerung hängt Schamanismus und Konfuzianismus an. Seit 2004 stehen 43 Klöster des Jogye-Ordens auch Touristen offen. Nicht jeder Tempel eignet sich für Besucher. In einigen wird nicht unter zehn Stunden am Tag meditiert; in manchen länger. Das ist nichts für Ungeübte.

Wir entzünden die Lampions, an die wir gestern liebevoll ein paar hundert pinkfarbene runde Blätter Krepppapier geklebt haben. Im schummrigen Licht des Tempels gleichen sie großen runden Lotusblüten. Seit jeher werden solche Lampen Buddha als Gaben dargebracht: als gebastelte Metapher für das Licht und die Wahrheit seiner Lehre. Unten hängt ein Zettel, auf dem wir unsere Wünsche notiert haben. Bo Moon Seunim geht voran in die stockfinstere Nacht. Er singt und schlägt die Trommel, wir stolpern an schemenhaften Buddha-Statuen vorbei, erklimmen Treppen und Hügel, laufen um Pagoden und versuchen, nicht aufs Gesicht zu fallen. Wir singen auch: Seogga monibul. Oder so. Mit diesem Mantra rufen wir Buddha, dem wir die Lampions widmen und unsere Wünsche vorlegen.

Normalerweise erfolgen diese Exerzitien zu Buddhas Geburtstag am achten Tag des vierten Mondmonats, hatte Bo Moon Seunim erklärt. Der Vollständigkeit halber werden sie aber auch im Rahmen unserer Zwei-Tages-Erfahrung vermittelt. Über dem Fluss Namhan-gang färbt sich der Himmel gräulich. Am jenseitigen Ufer tauchen die Umrisse von Gebäuden aus der Dunkelheit auf. Bestimmt Hotels, in denen Kaffeemaschinen gurgeln. Nach 45 Minuten Stolpern und Singen sind wir zurück am Tempel. Mit klammen Händen befestigen wir die Lampions über dem Eingang. Zeit für eine Viertelstunde Meditation. Mit geradem Rücken, mahnt Bo Moon Seunim. Dass keiner einschläft. Anschließend dehnen wir, was vom Bewegungsapparat übrig ist.

Das Frühstück soll Trost spenden und neue Kraft: mit Tee, Reisbrei, rohem Gemüse, Sojapaste und dem unvermeidlichen Kim Chi. Fleisch ist natürlich kein Thema, da der Buddhismus jedem Lebewesen mit gleichem Respekt begegnet. Dazu gehört, einander nicht zu essen.

Zu diesem Zeitpunkt sind einige der westlichen Gäste schon ein wenig angeschlagen von den kulinarischen Gepflogenheiten Koreas. Kim Chi morgens, mittags, abends. Immer liegt so ein Häufchen eingelegten Kohls an roter Peperonipaste vor einem. Dann die tägliche Einnahme des koreanischen Nationalgerichts: mariniertes Rindfleisch mit Sojapaste in ein Kohlblatt gerollt, dazu Reis. Und – natürlich – auch dabei diverse Teller mit Kim Chi in unterschiedlichen Ausprägungen. Im Kloster läuft schon gar nichts mit dampfendem Kaffee. Vom Vorabend wissen wir: Wer gierig isst, wird als Riesenfisch wiedergeboren, der niemals satt wird. Übrig bleiben darf aber auch nichts. Schweigen ist Pflicht. Ohne Schuhe sitzen wir auf dem Boden vor einem niedrigen Tisch.

Das meiste Leid verursacht Gier, erfahren wir. Und auch Dummheit und Wut vergiften das Herz. Ein giftiges Herz aber macht nicht nur unglücklich, sondern auch krank. Das erscheint einleuchtend. Bo Moon Seunim weiß Rat. Er teilt Reisigbesen aus. Arbeit für die Gemeinschaft vertreibe Leid, erklärt er und legt los wie aufgezogen. Wir kehren hinter ihm her, derweil eine milde Brise Blätter vom alten Baumbestand des Klosters auf die Sandwege rieseln lässt – und das zur Seite gefegte Laub bald zurückträgt. Doch es ist nicht die Zeit für Sinnfragen. Links, rechts, hin und her. Immerhin, die Arme taugen noch. Wir kehren bis zum Eingang des Klosters. Dann sollen unsere Herzen freier sein von Leid. Allein, die Laster, sie sind noch da.

Wir dürfen die Besen ablegen. „One deep bow per three steps“, verfügt der Mönch. Die drei Schritte symbolisierten die drei Laster, dann werfe man den Körper weg – zu Boden nämlich – und bete. Bis alle Laster abgeschüttelt sind und der Mensch Erleuchtung erfährt, ist es ein langer und steiniger Weg. Uns werden schon die 400 Meter zum Tempel weit. Drei Schritte mit halben Verbeugungen – gut und schön. Doch der Kniefall auf den Boden bedeutet beim Ausmaß dieses Muskelkaters nichts Geringeres, als den Körper tatsächlich wegzuwerfen wie ein gebrauchtes Taschentuch. Kontrolle über die Beinarbeit ist nur noch im Ansatz vorhanden, einige erreichen den Gästetrakt annähernd auf allen Vieren.

Zum Abschluss serviert Bo Moon Seunim Tee. Das ist nicht so einfach, wie es klingt. Mit beiden Händen nehmen wir den Tee entgegen. Vier Finger der linken Hand stützen die Tasse, die mit der rechten gehalten wird. Wir sollen nachdenken über das Zusammentreffen von Wasser und Teeblättern und eins werden miteinander und mit der Umgebung. Selbstredend sitzen wir mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden. Der Schmerz in Rücken, Hüften, Beinen ist schon vertraut. Dann dürfen wir aufstehen und unsere grauen Gewänder ablegen.

Wir sind keine Klosterbewohner mehr. Wir dürfen an Kaffee und Kino denken, an Internet und Alkohol. Wir treten hinaus in die Sonne. Dort wartet der Bus, der uns in den Zwölf-Millionen-Moloch Seoul zurückbringt: eine Welt aus symmetrischen Hochhauskolonien und kühn geschwungenen Stadtautobahnen, wie sie weiter weg vom Klosterleben nicht sein könnte. Mit zitternden Oberschenkeln ziehen wir uns in den Bus.