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Knapp überm BoulevardVon der Ironie der Geschichte und dem Geist des Protestantismus

Das neue Buch von Ingolfur Blühdorn und seinem Team am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit in Wien trägt die Provokation schon im Titel: „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“ – so lautet die sperrige Herausforderung, die eine fundamentale Kritik an der klimapolitischen Debatte liefert.

Diese habe sich, so die Autoren unisono, in einer Endlosschleife von Warnungen verfangen, aus der aber keine reale Veränderung der Gesellschaft folge. Eine steile These in Zeiten von Greta und Fridays for Future. Der Untertitel des Buches legt noch mal nach: „Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet“. Trotz aller ökologischer Aufklärung. Die Realität unserer Konsumgesellschaft bestehe vielmehr vorrangig darin, unseren „imperialen Lebensstil“ auf Kosten von anderen ebenso wie auf Kosten der Natur zu verteidigen. Dieser werde durch unser Umweltbewusstsein nicht wirklich tangiert. Deshalb leben wir heute in einer „Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigkeit“. Deren oberstes Ziel sei es, die reale Wende zur Nachhaltigkeit zu verhindern.

Die Aufklärung hat sich also nicht als der erhoffte Ausweg erwiesen. Statt die ökologische Apokalypse aufzuhalten, trage sie vielmehr dazu bei, die große sozial-ökologische Transformation zu verhindern. Fast könnte man meinen, die Emanzipation habe einen faustischen Pakt mit den neoliberalen Kräften geschlossen: Sie hat diesen ihre Seele verkauft. Tatsächlich aber wurde der emanzipatorische Diskurs usurpiert. Mit dem Konzept des „Humankapitals“ hat der Neoliberalismus tatsächlich mehr als nur unsere Arbeitskraft übernommen. Damit zapft er unsere kostbarste Ressource an: jene Kräfte, die uns von alleine funktionieren lassen.

Was also die große Transformation verhindert, das ist der Kapitalismus. Aber nicht einfach als äußere Ordnung, sondern vielmehr als innere Bestimmung: der Kapitalismus in uns sozusagen. Denn wir sind weit neoliberalere Subjekte, als wir denken. Nicht nur dort, wo wir den Imperativen von Konkurrenz, Wettbewerb und Selbstoptimierung folgen. Sondern auch da, wo wir diesen Imperativen zu widerstehen scheinen.

Blühdorn ist da, im Unterschied zu seinen Co-Autoren, rigoros: Engagement ist kein Ausweg – weil wir es nicht ernst betreiben. Vormittags im Öko-Café, nachmittags im Flieger nach New-York. Das Manko dabei ist nicht die mangelnde ökologische Effizienz, sondern die mangelnde politische und moralische Effizienz. Denn mit solchem partiellen Nachhaltigkeitsverhalten seien wir keine fixen Identitäten, die sich mit Entschlossenheit und Überzeugung für alle Arten von Veränderungen einsetzen. Mit unserem spielerischen Umgang, der auch Ökologie oder Politik auf ein Erlebnis reduziere, dem wir mal da und dort frönen, sind wir keine Kandidaten für den Wandel mehr.

Diese Subjektivität untergrabe aber nicht nur eine zukünftige große Transformation. Sie höhle auch die bestehende Demokratie aus. Jene Demokratie, die wir als Leerformel ständig im Mund führen. Blühdorns Misstrauen gegen die bestehende Demokratie lässt diese wie eine reine Beschwörungsformel erscheinen. Wie das heutige „Vade retro, Satanas“, das wir nur noch wie ein Kreuz zur Abwehr der Dämonen emporhalten.

In Blühdorns düsterem Befund – Vergeblichkeit von Aufklärung, Fehlen von konzisen Identitäten, ausgehöhlte Demokratie – kommt es nun zu einer Allianz zwischen genießender Mittelschicht und Populisten. Eine stille „Komplizenschaft“, in der die Populisten das schmutzige Geschäft der Ausgrenzung übernehmen. Dort, wo die sich verknappenden Ressourcen nicht mehr für alle reichen. Eine etwas überschießende These.

Der einzige Ausweg aus dieser „nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit“ wäre eine Re-Regulierung. Aber woher soll diese kommen? Einer Demokratisierung der Demokratie durch Ausweitung der Partizipation steht namentlich Blühdorn skeptisch gegenüber.

Spätestens an der Stelle vernimmt man die protestantische Sehnsucht, die das Buch leise durchweht. Das regulierende Heil (ein Wort, das so nicht vorkommt) kann in diesem düsteren Befund nur noch aus einer Absage an den imperialen Lebensstil zu kommen. Anders gesagt: Freiwilliger Verzicht von redisziplinierten Subjekten. Ein kleines Schlupfloch der Hoffnung in einem Ansatz, der Hoffnung mit Wohlfühlnarrativen gleichsetzt, die nur dazu dienen, das Bestehende zu befestigen und die wahre Entschlossenheit zu unterminieren.

Es ist keine kleine Ironie, dass ausgerechnet der Geist des Protestantismus, die protestantische Ethik, uns von jenen destruktiven Kräften befreien soll, die sie – so Max Weber – einstmals befördert hat.

Isolde Charim ist freie Publizistin in Wien.

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