: Knapes Revier
AUS BERLIN BARBARA BOLLWAHN
Michael Knape hätte gerne Jura studiert. Wie sein Vater. Der ging aber zur Schutzpolizei, weil die Eltern nicht viel Geld hatten. Als der Vater früh starb, meinte die Mutter, der Sohn solle auch eine Ausbildung machen. Knape entschied sich wie sein Vater für den Dienst in Uniform. Dabei waren ihm Uniformen verhasst, seit der Vater schwer verwundet aus dem Krieg zurückgekommen war. Als ihm ehemalige Schulfreunde begeistert von ihrer Ausbildung bei der Polizei erzählten, sagte sich Knape mit 18 Jahren, dass das gar nicht so weit weg sei von der Juristerei. Doch nach einem halben Jahr hatte er das Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Der Drill, die Kommandos, die Waffenausbildung, all das gefiel ihm nicht.
Knape blieb trotzdem. Weil er einen tollen Zugführer hatte. Weil zu der Zeit ein Polizeipräsident im Amt war, Klaus Hübner, der die Berliner Polizei umgekrempelt und bis heute gültige Maßstäbe für eine demokratische Polizeiarbeit gesetzt hat. Heute trägt Knape vier goldene Sterne auf den Schulterklappen seiner grünen Uniform. Der 53-Jährige ist Leiter der Polizeidirektion 6, der größten in Berlin. Sein Direktionsgebiet umfasst 280 Quadratkilometer, ihm unterstehen 2.500 Mitarbeiter, er ist zuständig für die Sicherheit von fast 750.000 Einwohnern.
Nächtlicher Telefonterror
Seit einem guten halben Jahr muss er sich auch um seine eigene Sicherheit und die seiner Frau und seiner 17 Jahre alten Tochter sorgen. Denn Knape wird, wie vor ihm kein anderer Polizeichef, von Rechtsextremisten bedroht, die ihre Aktivitäten in der „Reichshauptstadt“ durch seine Einsätze, Wohnungsdurchsuchungen und Razzien empfindlich gestört sehen.
Die Anti-Antifa, ein Bündnis von Rechtsextremisten, das persönliche Daten von politischen Gegnern sammelt, hat Knapes Privatanschrift und Telefonnummer ins Internet gesetzt. Es gab nächtlichen Telefonterror, in seinem Wohngebiet wurden Laternenpfähle und Bäume mit seinem Konterfei unter der Überschrift „Jäger kommen und gehen“ beklebt. Auf einer rechten CD wird Knape höhnisch als „Nazijäger Nummer eins“ besungen. Bei einem rechtsradikalen Aufmarsch sagte ihm der bundesweit bekannte Hamburger Neonazi Christian Worch ins Gesicht, dass man wisse, wo er wohne.
Die Direktion 6 liegt in Berlin-Friedrichshain. In dem großen, grauen Gebäude war in der DDR das Volkspolizeipräsidium untergebracht. Steigt man die drei Etagen zu Knapes Büro hinauf, kommt man an Plakaten vorbei: „Stoppt rechte Gewalt mit 110. Sie haben die Wahl.“ An den Wänden bröckelt der Putz ab, Knapes Büro ist ein Kontrast zu dieser Tristesse. Ein riesiger Ohrensessel, Farne, Palmen, Gummibäume, Polizisten aus Keramik, einer ist Knape selbst, ein Geschenk von Kollegen, Kerzen auf dem Besprechungstisch. „Ich bin ja mehr im Dienst als zu Hause“, erklärt er.
Der Polizeidirektor wirkt mit seinem Igelhaarschnitt und dem Schnauzer wie ein gemütlicher Wachtmeister aus vergangenen Zeiten. Das täuscht. Knape gilt als Arbeitstier, als „Fuchs“ bei der Bewältigung von polizeilichen Großlagen. „Ich gehe hier keinem Hobby nach“, stellt er klar, „das ist ein dienstlicher Auftrag.“ Er sei es in seinem Beruf daran gewöhnt, mit schwierigen Situationen umzugehen. Knape war früher Einsatzleiter bei der Bereitschaftspolizei und hat bei der Begleitung von Castor-Transporten oder bei 1.-Mai-Demonstrationen gezeigt, dass er nicht zimperlich ist. Aber die Aktionen der Rechtsextremen gegen ihn lassen ihn nicht kalt.
Es sei „natürlich unangenehm“ gewesen, als er die Steckbriefe in seinem Wohnviertel gesehen habe. Er hätte mit einer einstweiligen Anordnung dagegen vorgehen können. Er schüttelt den Kopf. „Die wollen doch, dass sich der Polizeiführer auf den Schlips getreten fühlt.“ Die CD mit dem „Loblied“ auf ihn ist auch ohne sein Zutun nicht im Handel. Die Musikverwertungsgesellschaft Gema hatte wegen Urheberrechtsverletzung geklagt, weil die Melodie des „Rosaroten Panthers“ verwendet wurde.
Knape zieht es vor, die Bedrohung auf vier Wörter zu reduzieren. „Viel Feind, viel Ehr.“ Doch ernst nimmt er sie. „Denn man weiß nicht, wo sie endet.“ Vorsichtiger sei er geworden. Er sieht sich ein paar Mal um, bevor er ins Haus geht. Mittlerweile hat er eine geheime Telefonnummer, der Staatsschutz trifft „Vorkehrungen“, die er nicht konkretisieren will. Aber der gebürtige Reinickendorfer denkt nicht daran, aus Reinickendorf wegzuziehen. „Es ist meine Aufgabe, verflucht noch mal, mich dem zu stellen“, sagt er und klingt entschlossen. Er sagt aber auch: „Im Magen bleibt ein Unbehagen.“
Als Knape 1999 die Direktion im Ostteil der Stadt übernahm, war er entsetzt, mit welcher Selbstverständlichkeit sich dort Rechtsextreme trafen. Neonazirockergruppen wie die „Vandalen“ hielten ihre Jahrestreffen ab, Mitglieder des verbotenen Neonazi-Netzwerks „Blood & Honour“, der Hammerskins und von freien Kameradschaften versammelten sich ungestört in Gartenkolonien, Klubhäusern, Kneipen und auf Parkplätzen. Lebhaft erzählt Knape von seinem Amtsantritt. „Nach wenigen Tagen fragte ich mich: Was für eine Direktion leite ich hier? Holla, hopp, hopp, hopp. Sind solche konspirativen und massiven Treffen üblich?“
Im nächsten Atemzug spricht er von der „Achse“ und den Konzepten, die er mit dem Landeskriminalamt, dem Innensenator und dem Polizeipräsidenten erarbeitet hat. Das Motto dabei: „Das geltende Recht bis an die Grenze des rechtlich Zulässigen ausschöpfen.“ Dazu gehören Kontrolle und Auflösung von Jahrestreffen, Feiern und Musikkonzerten. „Verfolgungsdruck“ heißt die Devise. Knape will ein Signal setzen, er will verhindern, dass die rechte Szene Boden gewinnt, und er will klar machen, dass Berlin für sie kein angenehmes Pflaster ist. Neben Kameradschaften und rechten Musikgruppen hat Knape „rechte Rattenfänger“ im Visier, die „Erlebnisausflüge“ anbieten oder frustrierte Jugendliche mit Diskotheken locken, in denen sie stolz sein können, Deutsche zu sein. „Dieses ständige Giftspritzen“, weiß Knape, „führt zu Erfolgen.“
Wegen seines Kampfs gegen rechts ist Knape nicht automatisch ein Linker. Auch wenn er Sätze wie „Keinen Fußbreit den Rechten“ oder „Wehret den Anfängen“ sagt, die danach klingen. Er kommt aus einem christlichen Elternhaus und ist seit über 20 Jahren Mitglied der CDU. „Man darf weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind sein, sondern muss sich am geltenden Recht orientieren.“ Die aktuelle Diskussion um ein NPD-Verbot verfolgt er mit gemischten Gefühlen. „Verbote bringen nichts“, sagt er. Damit sei der Rechtsradikalismus nicht aus der Welt zu schaffen. Knape plädiert „für einen offenen, knallharten Dialog“. Bekäme er vom Polizeipräsidenten eine Genehmigung, er würde mit dem NPD-Bundeschef Udo Voigt und dem sächsischen Fraktionschef Holger Apfel öffentlich diskutieren. „Um ihnen argumentativ den Boden zu entziehen.“
Gegenstrategien der NPD
Die Bundesgeschäftsstelle der NPD liegt in Knapes Direktion. In der Werner-Seelenbinder-Straße, benannt nach dem KPD-Widerstandskämpfer Seelenbinder, in Köpenick. Auf den heruntergelassenen Rollläden des grauen Gebäudes erinnern Spuren von Farbbeuteln an linke Proteste. Wer mit dem Bundesgeschäftsführer sprechen will, muss eine Art Sicherheitsschleuse passieren, der sich ein Vorraum anschließt. Dort stapeln Kameraden mit rasierten Köpfen und schwarzen Sweatshirts mit dem Aufdruck „Die Nationalen“ NPD-Souvenirs in Regalen bis unter die Decke.
Im „Konferenzzimmer“, einem Raum mit einer verwelkten Büropflanze und halbvergilbten Plakaten, auf denen „Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer“ gefordert werden, sitzt der Bundesgeschäftsführer Frank Schwerdt und pocht unablässig mit der rechten Hand auf die Tischplatte. „Der Knape? Eine interessante Person der Zeitgeschichte“, sagt er süffisant. Sicherlich mache er es der Szene schwer, aber das verleite diese nur „zu mehr Gegenaktionen“. Der 60-K Jährige zählt auf, was die Kameraden gegen den unliebsamen Polizeidirektor machen können: „Sie können sich verächtlich äußern über Herrn Knape. Sie können ihn bekannt machen in der Szene. Sie können sagen, der Mann positioniert sich uns gegenüber als Feind, und wir stellen ihn demzufolge auch als Feind dar.“ Er selbst ziehe eine Auseinandersetzung auf der juristischen Ebene vor. „Wenn ich konsequent juristisch gegen den Verfolgungsdruck angehe, wird Herr Knape sicherlich davon ablassen.“
Das sind rhetorische Muskelspiele. Mit der gesetzlichen Grundlage seines Tuns braucht Knape niemand zu kommen. Jeder Einsatz wird akribisch von Justiziaren geprüft, oft ist ein leitendender Staatsanwalt an Knapes Seite. Außerdem hat der Polizeidirektor seinen Traum von der Juristerei ein bisschen verwirklichen können. Seit neun Jahren verfasst er in seiner Freizeit Kommentare zum Polizei- und Ordnungsrecht, und seit drei Jahren ist er Honorarprofessor an der Fachhochschule für Rechtspflege.