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FUTURZWEI

Klimawende auf Kosten der Armen? Die klügsten Köpfe müssen ran

Die grüne Wirtschaft wird kommen, die Elektroautos werden in unseren Super-Eco-Cities surren – aber anderswo werden die Leute verrecken.

Hier fahren die Teslas, dort brechen die Deiche: Müll wird abgeladen am Ufer des Buriganga-Flusses in Dhaka, Hauptstadt von Bangladesh Bild: Niklas Grapatin/laif

Von INGO ARZT

Wir schaffen das, wir Menschen. Wir werden die Klimakrise als Spezies überleben. Alle Technologien sind da, um unseren Lebensstil ökologisch fortzuführen. Die Solarrevolution schlägt durch, sie wird Kohle, Öl und auch Gas wegfegen wie einst das Auto die Kutsche. Batterien werden billiger, energiedichter, immer massenhafter produziert; sie können bald komplett recycelt werden. Damit dann Elektroautos antreiben. Fliegen lässt sich doch auch CO2-neutral, mit Kerosin auf Basis von Algen. Soll ich weitermachen? Stahl geht auch ohne Klimaschäden, einfach CO2 unter die Erde pressen. Klimakiller Rindfleisch? Machen wir bald aus Zellkulturen, ohne Kuh. 2050 sind wir CO2-neutral, sagt die EU, sagt die Bundesregierung, sagt sogar der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Eine ökologische Gesellschaft im Jahr 2050 ist kein Utopia. Und das alles mit Jobs und Wohlstand.

Die Geschichte vom grünen Wirtschaftswunder also. Aber da ist dieses Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmt. Denken wir ihm mal rational hinterher.

Was, wenn Folgendes passiert: Wenn im Jahr 2050 viele Menschen stolz mit ihren recycelten Ökoautos durch die Metropolen dieser Welt lustwandeln, die gut gebildeten und gut verdienenden Schichten auf diesem Globus sich gegenseitig Ökotechnologien verkaufen – und im Mittelmeer so viele Klimaflüchtlinge ertrinken wie nie? Bangladesch keine Landwirtschaft mehr hat, weil die Böden versalzen sind? In den Küstenstädten dort die Deiche brechen, wo eh nur die Armen wohnen?

Der Klimawandel wird soziale Ungleichheit potenzieren

Mit Glück wird die Menschheit die Ökowende schaffen. Aber, bleibt sie bei ihrer gegenwärtigen Ignoranz, wird das Entscheidende vergessen: Die zu retten, für deren Rettung es kein Businessmodell gibt. Die soziale Spaltung wird durch den Klimawandel verschlimmert werden, ach was, sie wird potenziert. Weil die herrschende Wirtschaftsordnung Ökotechnologien genauso monopolisieren wird wie Daten und Öl und nirgends zu sehen ist, dass die Menschheit ihre Ungleichheit zwischen Ländern und Schichten überwindet. Dafür bräuchte es eine aus heutiger Sicht unvorstellbare Zärtlichkeit zwischen den Völkern. Eine bisher nie dagewesene Umverteilung zugunsten der am schlimmsten vom Klimawandel Betroffenen.

Im fossilen Zeitalter ging Armutsbekämpfung so: Die Menschheit hat immer mehr Kohle, Öl und Gas verbrannt, den Reichtum daraus vor allem den ohnehin Wohlhabenden zukommen lassen, trotz dessen ging das Elend zurück. 1981 lebten nach Daten der Weltbank 42 Prozent der Weltbevölkerung in Armut, 2015 waren es 9,9 Prozent, der Energieverbrauch stieg in der Zeit um 35 Prozent pro Kopf. Gleichzeitig schwoll die Einkommensungleichheit stark an, wie der World Inequality Report zeigt. Viele Staaten organisierten ihre Gesellschaften in den letzten vierzig Jahren also immer ungerechter und kaschierten das geschickt, weil in einem allgemeinen, von fossilen Energieträgern befeuerten Aufschwung auch für die Ärmsten mehr übrig blieb. Doch dieses Modell ist am Ende. Wir müssen das Kunststück schaffen, mit sehr knappen erneuerbaren Ressourcen den Ärmsten zu helfen, sich an den Klimawandel anzupassen. Das Problem ist viel mehr als ein technologisches: Pathetisch gesprochen braucht es dazu eine Art Weltsozialstaat. Wenn es an Gruppen wie die Extinction Rebellion oder Fridays for Future etwas zu kritisieren gibt, dann, dass sie diesen Aspekt zu vergessen drohen.

Der Aufbau eines globalen Schutzschildes gegen den Klimawandel muss rasend schnell kommen. Zuletzt beschrieb 2018 eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern, dass selbst die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels des Klimaabkommens von Paris zu wenig sein könnte. Die Erde könnte durch Dominoeffekte wie tauende Permafrostböden und Eisschilde in eine neue Heißzeit taumeln. Große Teile Afrikas, Südspanien und Sizilien wären dann unbewohnbare Wüsten. Vielen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent, in Indien, Pakistan oder Bangladesch, Papua Neuguinea, Bolivien oder Venezuela könnten in einer kollabierenden Gesellschaft ums Überleben kämpfen müssen, das zeigt der ND-GAIN Country Index über die am schlimmsten betroffenen Länder.

Bis zum Jahr 2050 werden fünfzig bis siebenhundert Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen

Auf UN-Ebene ist die Anpassung an den Klimawandel längst Programm, steht auch im Pariser Klimaabkommen drin. Die reichen Staaten der Welt haben versprochen, ab 2020 dafür hundert Milliarden US-Dollar im Jahr zur Verfügung zu stellen. Natürlich keine Steuergelder, das müsste man ja den Wähler*innen erklären, da zählen auch Investitionen Privater dazu, was übersetzt bedeutet: Wir machen aus dem Klimawandel ein Exportgeschäft für die heimische Industrie. Eine ganze Fülle an UN-Arbeitsgruppen erarbeitet Pläne, wie Landwirtschaft, Eisenbahnen, Bildungswesen, Gesundheitssysteme weltweit an den Klimawandel angepasst werden können, Entwicklungsländer schreiben dazu brav, was sie brauchen.

Das ist alles wichtig und gut. Der Klimawandel wird so hart zuschlagen, dass jedes Projekt, jedes Programm, jede Million Leben retten kann. Aber es ist, als drohe der Erde der Einschlag eines riesigen Asteroiden und die Weltgemeinschaft lässt als Gegenmaßnahme pdf-Dokumente online stellen.

Ganze 13 Leute kümmern sich in der Task Force on Displacement im Auftrag des Klimasekretariats der Vereinten Nationen darum, was mit Menschen passiert, die wegen des Klimawandels ihre Heimat verlieren. 13 Menschen für einen ganzen Globus. Das ist kein Versagen der UN, sondern der Weltgemeinschaft. Man will es nicht wissen: Der Mensch zerstört Böden, durch Dünger, Beton, Bergbau oder Rodung, das verschlimmert den Klimawandel, der wiederum Böden zerstört. Dieser Teufelskreis wird bis zum Jahr 2050 fünfzig bis siebenhundert Millionen Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen, schreibt der Weltbiodiversitätsrat, auch eine UN-Organisation. Da sind die Flüchtlinge wegen steigender Meeresspiegel und Hitzewellen noch nicht drin.

Die Mittel reichen hinten und vorne nicht

Niemand prüft regelmäßig, ob die ursprünglich von der Weltbank berechneten fünfundsiebzig bis hundert Milliarden Dollar im Jahr für die Anpassung an den Klimawandel eigentlich noch zeitgemäß sind. So ein Preisschild ist ja auch verdammt praktisch. Klimakrise? Hundert Milliarden im Jahr, rund 0,125 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, und fertig.

Doch die Mittel reichen hinten und vorne nicht. Allein die fünfzig ärmsten Länder der Welt brauchen bis zum Jahr 2030 jährlich fünfzig Milliarden Dollar für ihre Gesundheitssysteme, um Krankheiten zu bekämpfen, die durch Fluten und Hitze zunehmen. Sonst werden jährlich 108.000 Kinder unter 15 Jahren an Malaria oder Durchfallerkrankungen zusätzlich sterben. Das steht im jüngsten Adaptation Gap Report (»Bericht zur Anpassungslücke«) der Vereinten Nationen.  

Und das sind nur die Auswirkungen der bereits manifesten Erderwärmung.

Das Beispiel zeigt, wie maximal zynisch die reichen Länder sind. Sie versprechen hundert Milliarden Dollar jährlich, die schon heute zu wenig sind. Das Gravierende dabei ist, dass die Summe auf der Annahme basiert, dass sich die Erde im Mittel nur um zwei Grad erwärmt. Was, wenn es mehr wird? Dafür trifft niemand Vorsorge. Obwohl es verdammt realistisch ist.

Die fünfzigtausend klügsten Köpfen der Welt müssen die Menschheit auf einen ausufernden Klimawandel vorbereiten

Meine Forderung, und ich hoffe, die Klimaschützer dieses Landes tragen sie hinaus: Deutschland und die EU müssen dafür sorgen, dass ein Team von, sagen wir mal, den fünfzigtausend klügsten Köpfen dieser Welt damit beginnt, die Menschheit auf einen ausufernden Klimawandel vorzubereiten.

Für alle dann unbewohnbaren Gebiete müssen Pläne zu Evakuierungen erarbeitet werden. Europa muss Vorbereitungen treffen, bis Ende des Jahrhunderts zweihundert Millionen Klimaflüchtlinge aufzunehmen. Auf UN-Ebene muss ein Rechtsanspruch aller Erdenbürger verankert werden, an einem sicheren Ort zu leben. Die reichen Staaten müssen zulassen, dass jeder Mensch das Recht erhält, die Mittel zum Überleben der Klimakrise bei Staaten und Unternehmen in den Industrieländern einklagen zu können.

Selbstverständlich gibt es dazu eine Alternative. Sie besteht darin, dass wir im Jahr 2050 mit unseren Elektroautos durch unsere superökologischen Solarstädte gurken, uns vegan ernähren und die Menschen des globalen Südens guten Gewissens verrecken lassen.