"Klimaspende" statt Flugverzicht: Ablasshandel für Fluggäste
Weil Fliegen immer mehr Passagieren ein schlechtes Gewissen macht, bieten Airlines "Klimaspenden" an. Aber entspricht die dem Schaden? Und wie viel sollen die Airlines selbst zahlen?
Das gute Gewissen gibt es bei der Lufthansa zum Schnäppchenpreis. Immer mehr Passagieren bereiten die Klimabelastungen, die ihr Flug verursacht, ein schlechtes Gewissen. Ihnen bietet die Lufthansa seit September vergangenen Jahres einen Ablass an: Mit einer "Klimaschutzspende" kann der Fluggast "aktiv zum Klimaschutz und unmittelbar zur Reduktion von Treibhausgasen beitragen", heißt es auf der Lufthansa-Homepage. Als "Orientierung für die Höhe der Spende" diene ein Emissionsrechner der renommierten Schweizer Agentur Myclimate.
Für einen Flug von Frankfurt nach Los Angeles und wieder zurück kommt der Rechner auf einen Kohlendioxidausstoß von 1,875 Tonnen pro Kopf. Diesen Ausstoß kann man mit 38 Euro kompensieren. Das Geld werde dafür genutzt, um "Klimaschutzprojekte zur Gewinnung von Elektrizität aus Biomasse in Indien" zu unterstützen. Für die Kunden der Lufthansa ist das ein Supersonderangebot. Denn wer sich die Klimabelastungen eines Flugs nach Kalifornien nicht über die Lufthansa, sondern direkt von Myclimate berechnen lässt, bekommt eine ganz andere Rechnung: Dann beträgt der CO2-Ausstoß 4,384 Tonnen. Das gute Gewissen kostet dann 180 Euro oder, wenn die Kompensation zur Hälfte in der Schweiz geleistet werden soll, sogar 323 Euro.
Diese Differenz hat folgenden Grund: Bei der Lufthansa dient allein der CO2-Ausstoß als Berechnungsgrundlage, während Myclimate die gesamte Klimawirkung eines Flugs berücksichtigt. Und die ist, wie die meisten Wissenschaftler überzeugt sind, etwa dreimal so hoch wie der bloße CO2-Ausstoß.
Die meisten Fluggesellschaften haben entdeckt, dass sie ihrem eigenen schlechten Image und dem schlechten Gewissen ihrer Kunden mit freiwilligen Klimaspenden abhelfen können. Auf dem Markt für freiwillige Emissionsreduzierung (Voluntary Emission Reductions, VER) hat dies für einen Boom gesorgt. Zugleich tobt, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, eine Debatte über die Verantwortung des Flugverkehrs für den Klimawandel. Dabei geht es um die Frage, wie und wann die Flüge in den Emissionshandel einzubeziehen sind.
Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, wird spätestens ab dem Jahr 2012 Schluss sein mit der Fliegerei ohne Rücksicht aufs Klima. Wie heute schon Kraftwerke und Fabriken sollen die Airlines dann Emissionsrechte erwerben, und, falls sie mehr ausstoßen, als sie dürfen, Emissionsrechte teuer dazukaufen. Aber wie groß ist der Beitrag der Flugverkehrs zum Klimawandel tatsächlich? Und genügt es, den Ausstoß von Kohlendioxid in Rechnung zu stellen, oder muss dieser mit einem bestimmten Faktor multipliziert werden?
Wenns nur das CO2 wäre
Die Fluggesellschaften lehnen dies ab: "Wir halten uns nicht an theoretische Modelle, sondern an die realen Daten unserer Flotte", sagt Peter Schneckenleitner, Sprecher der Lufthansa. Für den Konzern zählt nur der CO2-Ausstoß aus den Flugzeugturbinen: 21 Millionen Tonnen CO2 waren das im Jahr 2005, etwa so viel, wie Kroatien in die Luft bläst.
Unterstützung erhalten die Fluggesellschaften von einigen Wissenschaftlern, etwa von Ulrich Schumann, dem Leiter des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. Der hält einen Klimafaktor für "Unsinn, irreführend und nicht berechenbar". Am vernünftigsten sei daher "Faktor eins", also das Modell, das die Airlines bevorzugen - und das sie bevorzugt.
Andere Wissenschaftler, etwa vom Umweltbundesamt, wundern sich darüber. Sie verweisen auf eine Studie des europäischen Forschungsprogramms Tradeoff aus dem Jahr 2005, an dem das DLR und auch Schumann selbst beteiligt waren. Das Ergebnis der Studie: Selbst wenn man nur die unumstrittenen Faktoren berücksichtige, sei der vom Flugverkehr verursachte Klimaschaden doppelt so hoch wie der reine CO2-Ausstoß. "Und wenn man die Schätzungen zur Wolkenbildung aus diesem Gutachten dazunimmt, ist es sogar der Faktor drei bis fünf." So steht es auch im Vierten Sachstandsbericht des UN-Klimarats (IPCC).
Boom ohne Regeln
Bislang haben sich EU-Parlament und EU-Kommission nicht auf eine Regelung einigen können, sodass sich der Streit bei den Kompensatoren fortsetzt. Der Anbieter Atmosfair verrechnet seine Flugkompensationen mit dem Faktor 2,7 und flog bei der Lufthansa-Ausschreibung deshalb aus dem Rennen. "Das Wichtigste für die Kunden ist doch, dass das Geld in Projekte investiert wird, wo es wirklich zum Klimaschutz beiträgt", verteidigt Myclimate-Geschäftsführer René Estermann seine Abmachung mit Lufthansa und Swiss. Der "Grad der Berechnung" sei für die Kunden "sekundär".
Die Fluggesellschaften beharren auf dem Faktor eins, aber Estermann findet es positiv, dass sie überhaupt dieses Angebot zur Kompensation machen, "das ist ein Anfang, den wir schrittweise perfektionieren müssen".
Doch oft genug dient das "Greenwashing", also Beruhigung des ökologischen Gewissens mittels freiwilliger Investitionen, allein dem Umsatz und dem Ansehen der Anbieter, aber nicht dem Klima. Der Markt boomt ohne Regeln. Es gibt keine Meldestelle, keine Zertifizierung, keine Standards, keine Abmahnungen der Verbraucherschützer. Die französische Bank Caisse des Depots, seit 2006 selbst "klimaneutral", zählte im vorigen Jahr in einer Studie weltweit 88 Anbieter von Klimakompensationen. Abgesehen von einer Ausnahme in Brasilien waren alle in den Industrieländern ansässig. Der durchschnittliche Preis für eine Tonne CO2 schwankte laut dieser Studie je nach Anbieter zwischen 10 Cent und 52 Euro.
Die Unternehmensberatung Ecosystems Marketplace taxiert den Wert der im Jahr 2006 gehandelten CO2-Kompensationen auf weltweit 91 Millionen Dollar. Eine winzige Zahl im Vergleich zum offiziellen Emissionshandel der EU, auf dem 1,1 Milliarden umgesetzt wurden. Doch der Handel mit Klimawandel und schlechtem Gewissen ist seit dem Jahr 2005 um 300 Prozent gewachsen, und manche erwarten, dass schon in zwei Jahren insgesamt 450 Millionen Euro auf ihm umgesetzt werden. Der Markt, so glaubt man bei Ecosystems Marketplace, sei wichtig, weil er "eine aktive Nachfrage von Unternehmen und Privatpersonen repräsentiert, irgendetwas gegen den Klimawandel zu tun".
Ähnlich erklärt die Weltbank die rege Nachfrage: "Es liegt etwas extrem Attraktives in einem Geschäftsmodell, das sich an die höheren Instinkte der Menschheit richtet, die Welt zu verbessern." Das größte Problem sei das Fehlen von Standards, wie denn Emissionsreduzierungen zu berechnen seien . Das Beispiel von Lufthansa und Myclimate belegt diese Einschätzung.
Auf dem riesigen grauen Markt mit dem guten Ökogewissen ist diese Kooperation sicher nicht die haarsträubendste. Immerhin ist Myclimate von der Tuft University in den USA als glaubwürdig und empfehlenswert eingestuft worden. Dieselbe Auszeichnung erhielten Atmosfair aus Deutschland und zwei weitere Anbieter. Der Rest fiel durch. Ein genauer Blick zeigt, dass auf diesem Markt unseriöses Vorgehen tatsächlich eher die Regel als die Ausnahme ist: Ein Skigebiet verspricht seinen Besuchern einen Ausgleich für ihre Anreise per Auto; ein Autovermieter bietet Gewissenserleichterung bei der Fahrt von spritschluckenden Vierradjeeps an; ein Aufsteller von Heizpilzen will Bäume pflanzen, ein Vermittler von Spritztouren in "MiG"-Kampfjets das gute Gewissen wiederherstellen. Von einem besonders dreisten Beispiel für die Klimaabzocke weiß die Weltbank zu berichten: Ein Anbieter habe in einer Onlineversteigerung geschworen, für die Emissionsrechte nehme er jeden Tag auf dem Weg ins Büro die Treppe und verzichte auf den Stromfresser Fahrstuhl.
Dass es sogar bei einer Fluglinie anders geht, demonstriert die britische Virgin Atlantic. In Zusammenarbeit mit Myclimate bietet das Unternehmen seinen Kunden an, bei der Klimakompensation die Faktoren eins oder zwei zu berechnen. Virgin Atlantic gehört Richard Branson, Milliardär und spät berufener Umweltschützer. Er hat gerade angekündigt, in den nächsten zehn Jahren insgesamt 3 Milliarden Dollar in den Klimaschutz zu investieren.