Klimafreundliche Musikfestivals: Bioshirts und Bioklos
Immer mehr Veranstalter von Musikfestivals versuchen, die klimaschädlichen Folgen abzuschätzen und einzudämmen. Das Angebot steht. Fehlt nur noch die Nachfrage.
Sommer nach dem Klimagipfel in Kopenhagen: Die Leute feiern. Warum? Weil sie es schon immer getan haben. Sonnenschein und die Möglichkeiten laden tausende junge Menschen zu Musikfestivals quer durch Europa ein. Ein genauerer Blick verrät, dass sich aber Veränderungen vollziehen: In dem Handeln der Veranstalter und dem der Besucher schleicht sich eine neue Vokabel ein: Nachhaltigkeit, also ein ökologisches Bewusstsein, das einige jungen Menschen scheinbar für selbstverständlich halten. Nun, nachdem mit dem Klimagipfel im Dezember bewiesen wurde, dass eine global verbindliche Einigung nicht möglich ist, greifen die, die sich der Problematik bewusst sind, zu eigenen Maßnahmen.
Schauen wir uns in der Kulturlandschaft um, sehen wir im Musikbereich die temporäre Ansammlung von mehreren zehntausend Menschen, die aus allen Ecken mit ihren Autos und Zelten eine Landschaft überrollen, Lärm in höherem Dezibelbereich durch Lautsprecher schallen und ihren Müll dort lassen: kurz Musikfestivals.
Das klimafreundliche Festival allerdings ist nicht neu, die Großen in Europa wie Roskilde und Glastonbury machen es seit vielen Jahren vor. Jetzt ziehen deutsche Festivals nach. Erstmals wollte sich am vergangenen Wochenende nun das Melt-Festival der Umweltproblematik stellen. Das Elektro-Indie-Rock-Festival findet jeden Sommer auf dem Gelände der Ferropolis statt, einem stillgelegten Braunkohlewerk bei Dessau. Mitten in die ostdeutschen Pampa reisen rund 20.000 Besucher für drei Tage aus ganz Deutschland und Europa in ihren Pkw an. "In Gesprächen hat sich schnell herauskristallisiert, dass bezüglich des Umweltthematik Mobilität und Verkehr die zentralen Probleme sind", erklärt Dirk Völler, Veranstalter des Festivals.
Wenn bis zu 100.000 Menschen aus ganz Deutschland zu einem Festival pilgern, verursachen sie CO2-Emissionen von der Größe einer Kleinstadt. Dies bestätigt auch die Studie einer grünen englischen NGO und vom Oxford Enviromental Change Institute über Emissionen der Musikindustrie: Ein Musikfestival mit mehr als 40.000 Besuchern hat einen CO2-Ausstoß von 2.000 Tonnen. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Deutsche verursacht laut Internationaler Energie-Agentur 9,71 Tonnen CO2 - jährlich.
Der Auswirkungen auf die Umwelt sind sich die wenigsten Festivalgänger bewusst. Das soll sich ändern. So bot das Melt nun erstmals ein integriertes Hotel-Zug-Angebot an, bei dem Festivalgänger in Bahn-Liegewagen direkt bis zum Festivalgelände reisen können, Unterkunft inklusive. Des Weiteren kooperierte das Festival mit einem Busunternehmen, das spezielle Mitfahrangebote zu entlegenen Festivals in Deutschland anbietet. Um eine tatsächliche Wirkung zu erzielen und nicht nur Greenwashing zu betreiben, arbeitete das Melt-Team eng mit der Deutschen Energie-Agentur DENA, dem Mobilitätsberater "team red" und der "Green Music Initiative" zusammen. Letztere versteht sich als nationale Plattform zur Förderung einer klimafreundlichen Musik- und Entertainmentbranche und verbindet Akteure des Business - mit dem Ziel, "grün" zu werden.
Vergangenes Wochenende ging das Melt über die Bühne und CO2online, eine Initiative zur Emissionsreduktion, war als Partner und mit Stand vor Ort. Mitarbeiterin Stephanie Schropp erzählt von Besuchern, die mit der Erkenntnis davongegangen seien, dass mit einfachen Mitteln schon Veränderungen vollzogen werden können. Aber einige interessierten sich gar nicht für diese Problematik - ähnlich wie in der gesamten Bevölkerung. Insgesamt hätten schon viele die Bemühungen des diesjährigen Melts mitbekommen, auch wenn die auf dem Gelände - den CO2online-Stand ausgenommen - wenig sichtbar war. Die bisher positive Resonanz ließ sich auch am ausverkauften Hotelzug aus Richtung Köln und insgesamt drei vollen Bussen aus Berlin ablesen.
Jenseits von persönlichen Enthaltsamkeiten zugunsten der Umwelt wollen die Veranstalter neue Möglichkeiten bieten, wie die Welt ganz unkompliziert rettbarer wird. "Es ist auf jeden Fall ein langer Weg bis zur Nachhaltigkeit, und wir hoffen, dass die Leute das auch annehmen", so Dirk Völler. Bisher stehen zeitnahe kommerzielle Erfolge nicht im Vordergrund, aber dennoch müsse man als Unternehmen die Abwägung treffen, was man sich an Umweltschutz auch leisten kann. "Es kann auch passieren, dass keiner mehr kommt, wenn es zu kompliziert wird." Mit dem Ziel der CO2-Emissionsreduzierung ist also ein kleiner Schritt in ein ökologisch verträglicheres Festival getan.
Kleiner und radikaler geht es beispielsweise auf dem Lunatic-Festival im norddeutschen Lüneburg zu: Das von Studenten organisierte Ein-Tages-Festival mit rund 2.500 Besuchern hat seit 2007 eine ausdrücklich nachhaltige Ausrichtung im Konzept stehen. Neben der Emissionsproblematik, die die Lunatic-Veranstalter damit lösen, dass sie ihre Zielgruppe eher im Lüneburger Umkreis verortet, so dass kaum Reiseaufkommen zu erwarten ist.
Außerdem werden mithilfe einer Umfrage während des Festivals die Emissionen der Besucher berechnet, die dann durch den Kauf von Umweltzertifikaten ausgeglichen werden können. Das Engagement geht aber über die der CO2-Bilanzierung hinaus: Essensstände haben eine Bio-Klausel im Vertrag, die Merchandise-T-Shirts sind klimaneutral aus organischer Baumwolle hergestellt, alle Printprodukte wie Plakate und Flyer werden auf recyceltem Papier gedruckt, und all das kommt aus der Region Lüneburg. "Wir versuchen immer noch Möglichkeiten zu finden, wie wir das Festival nachhaltiger und schonender für die Umwelt gestalten können", meint Steffi Beckert, Kulturwissenschaftsstudentin der Leuphana Universität und tätig in der Festivalleitung des Lunatic. Das Wissen beziehen die Organisatoren auch von den Umweltwissenschaftlern der Universität.
So gibt es Ansätze, um das symbolträchtige Festivalobjekt Plastiktoilettenhäuschen als "Biotoilette" anzubieten. Ja, man will selbst bei der Beleuchtung auf energieeffiziente LED-Leuchten umsteigen. Bis jetzt sind das aber nur Ideen, denn Lunatic stößt an seine Grenzen: "Es scheitert am Geld, weil wir auch nur ein studentisches Festival ohne finanzielles Polster sind."
Gleichwohl betonen die Veranstalter des großen wie des kleinen Festivals, dass sie die Umweltproblematik eindeutig als wichtiges Thema der heutigen Zeit sehen - und damit auch einen Handlungsbedarf in ihrem eigenen Bereich.
Auf der anderen Seite des Festivals, auf der Bühnenseite, stehen noch die Künstler. Denen ist kaum vorzuschreiben, wie sie reisen sollen, doch setzen einige Bands ihre ökologischen Standards selbst: Radiohead nahmen auf ihrer "Carbon Neutral World Tour" nicht das gesamte Equipment mit, sondern mieteten sich viel an und setzten auf energiesparende LED- statt energieverschwendende Laser-Beleuchtung. Die Berliner Band Seeed tritt nur in Veranstaltungsstätten auf, die regenerativen Strom beziehen. Dies sind Einzelbeispiele, die auch nur funktionieren, wenn eine gewisse Popularität und damit Wahlmöglichkeiten der Musiker bestehen. Und, vor allem, eine gute Absicht seitens der Künstler.
Auch wenn sie sonst immer das Licht ausschalten und selbst in Supermarktketten die Produkte mit dem Bio-Schild kaufen, ist vielen Menschen der umweltschädigende Charakter von Rockfestivals gar nicht bewusst. Jacob Bilabel von der "Green Music Initiative" bringt es auf den Punkt: "Wichtig ist, den Leuten zu zeigen, wie es geht - und ihnen nicht dauernd zu sagen, wie es nicht geht. Ich glaube, dass ein klimaverträgliches Festival mit 40.000 Leuten mehr erreicht als eine Kampagne des Bundesumweltministeriums."
Neu ist, die Musikindustrie überhaupt als Klimakiller zu identifizieren. Um sie als Verbündeten für Veränderungen einzuspannen, braucht es aber mehr als nur diese zwei exemplarischen Beispiele in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.
Nehmen Besucher das an? Bisher ja. Zugleich aber bleiben Festivals auch ohne nachhaltige Ausrichtung beliebt und ausverkauft.
Im durchökonomisierten Musikbetrieb regelt sich alles nach Angebot und Nachfrage, entsprechend gering bleibt daher das bisherige Angebot an nachhaltig ausgerichteten Festivals. Stellen wir die Nachfrage?
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