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Archiv-Artikel

Kleiner Stadtstaat in Kuba

Seit zehn Jahren wird Havannas Altstadt saniert. Der Stadthistoriker Eusebio Leal Spengler im Interview über die aus Tourismusgewinnen finanzierte Restaurierung des historischen Stadtzentrums

INTERVIEW OLE SCHULZ

taz: Herr Spengler, einen Stadthistoriker von Havanna gibt es seit 1938, doch seine Aufgaben haben sich stark verändert …

Eusebio Leal Spengler: Bisher gab es zwei Stadthistoriker, der erste war Doktor Emilio Roig de Leuchsenring, der wie ich aus einer deutschen Familie stammt – sein Großvater war der Generalkonsul der Hansestadt Hamburg in Havanna. Er hatte das Amt bis 1964 inne. 1967 habe ich angefangen, im Büro des Stadthistorikers zu arbeiten, kurz darauf wurde ich zum Amtsleiter. Ursprünglich war der Stadthistoriker nur für die Chronik Havannas, das Stadtarchiv und die -bibliothek zuständig; heute ist sein Aufgabenfeld erheblich vielfältiger und entsprechend auch seine Bedeutung größer: Im Mittelpunkt steht die Restaurierung des historischen Zentrums, und wir haben darüber hinaus einen Masterplan für die Stadt entwickelt. Daneben kümmern wir uns aber auch uns um soziale Belange und geben mit Opus Habana eine wichtige Kulturzeitschrift heraus.

Wie ist es dazu gekommen, dass der Stadthistoriker eine solche Machtfülle erlangt hat?

Nach meinem Verständnis ist seine Macht vor allem moralischer Natur. Der Stadthistoriker hat sich viele Jahre dafür engagiert, die Dinge von Wert zu erhalten, die unterzugehen drohen. Er war derjenige, der bei den Leuten an die Tür geklopft und ihnen erklärt hat, worum es bei seiner Arbeit geht, derjenige, der in der Öffentlichkeit für die Wichtigkeit seiner Tätigkeit geworben hat. Nach vielen arbeitsreichen Jahren ist das Büro des Stadthistorikers jetzt eine äußerst angesehene Institution.

Die Sanierung von „Habana Vieja“ begann, nachdem die Altstadt Havannas 1982 zum Weltkulturerbe erkoren wurde.

Auf dem Weg dahin gab es mehrere Etappen: Als junger Mann habe ich mich elf Jahre lang um die Restaurierung des „Palacio de los Capitanes Generales“ gekümmert, der zum Stadtmuseum ausgebaut wurde. 1981 wurde ich von der Regierung mit weiteren Restaurierungsarbeiten im Stadtzentrum beauftragt. Die dritte Etappe begann 1993. Obwohl die ökonomischen Umstände damals sehr schwierig waren, entschloss sich die kubanische Regierung, den ganzen Stadtkern zu sanieren. Seit zehn Jahren arbeiten wir nun nach einem bestimmten System, das unter anderem beinhaltet, dass wir kontinuierlich Fachkräfte ausbilden, welche die notwendigen Arbeiten ausführen.

Und was ist in den letzten zehn Jahren erreicht worden? Es ist nicht zu übersehen, dass es in der Altstadt hinter den bisher schick sanierten Gebäuden und Plätzen noch viele Straßenzüge gibt, wo noch nichts passiert ist.

Ob wir erfolgreich sind oder nicht, das müssen sie die Kubaner fragen und nicht mich! Ich bin mir aber sicher, dass die überwältigende Mehrheit mit großem Respekt von der bisher geleisteten Arbeit sprechen wird. Ich selbst fühle mich ein wenig unwohl, weil ich immer das Gefühl habe, es müsste noch viel mehr getan werden. Ich weiß auch nicht, ob ich das Ende der Sanierung noch erleben werde, doch zumindest haben wir eine solide Basis geschaffen, auf der man aufbauen kann. Wir werden nicht nur in Kuba, sondern auch im Ausland dafür geachtet, was wir geleistet haben.

Kuba hat die ökonomische Krise in Folge des Zusammenbruchs des Ostblocks bis heute nicht überwunden. Wie können angesichts dieser Situation die Restaurierungsarbeiten finanziert werden?

Es gibt verschiedene Finanzierungsquellen: Zum einen erheben wir per Gesetz eine Steuer auf alle öffentlichen und privaten Wirtschaftsaktivitäten in der Altstadt, auch wenn das nur sehr wenig Geld einbringt. Wichtiger ist, dass uns eine Vielzahl von Grundstücken gehört, deren Häuser wir mithilfe von Bankkrediten sanieren und zum Beispiel in Hotels umwandeln. Die dort erzielten Einnahmen investieren wir direkt in die Altstadtsanierung. Inzwischen betreiben wir 14 Hotels, ein weiteres wird gerade gebaut. Dabei muss man wissen, dass fast alle Touristen, die Kuba besuchen, einen Abstecher in Havannas Altstadt machen. „Habana Vieja“ ist so etwas wie ein kleiner Stadtstaat.

Es gibt keinerlei finanzielle Hilfe des kubanischen Staates?

Nein, aber der Staat hilft dadurch, dass er den rechtlichen und administrativen Rahmen stellt und uns Kredite zu günstigen Konditionen ermöglicht. Außerdem gab es internationale Kooperationen, wenigstens in der Vergangenheit, denn die Europäische Union hat sich aus politischen Gründen leider dafür entschieden, Kuba nicht weiter ökonomisch zu unterstützen.

Glauben sie, dass die selbst finanzierte Altstadtsanierung auf privatwirtschaftlicher Basis ein Vorbild für die kubanische Ökonomie sein könnte?

Ich denke, die Altstadtsanierung ist zunächst einmal Ausdruck der Dezentralisierung der Wirtschaft Kubas, welche die Regierung zugelassen hat. Und es stimmt auch, dass sich die Eigenverantwortlichkeit, mit der das Büro des Stadthistorikers arbeitet, im Laufe der Zeit bewährt hat. Inzwischen wird auch in den historischen Stadtzentren von Camaguey, Trinidade und Santiago de Cuba ähnlich gearbeitet.

Dafür ist der Zustand der meisten Häuser in anderen Stadtvierteln Havannas schlecht. Hier und da wird eine Fassade neu gestrichen, während die Substanz weiter verfällt.

Das stimmt nicht ganz. Denn wenn wir eine Fassade neu gestalten, dann wurde zuvor das Gebäudeinnere instand gesetzt. Man darf auch nicht vergessen, dass ausländische Investitionen, die wir nach der Revolution gebraucht hätten, durch die US-amerikanische Blockade verhindert wurden. Es fehlen uns viele hundert Millionen US-Dollar, um die historische Stadt und ihre Monumente zu erhalten.

Das traditionelle Wohnhaus in Havanna hat eine hohe Belegungsdichte. Hat sich die prekäre Wohnsituation durch die Sanierung verbessert?

Auf jeden Fall. Man muss aber auch sagen, dass weiterhin eine klare Grenze existiert zwischen den Häusern, die bereits saniert wurden, und dem Rest. Darum konzentrieren wir uns auch auf soziale Projekte, dazu gehören ein Frauenzentrum ebenso wie ein Wohnkomplex für betreutes Altenwohnen und ein Heim für geistig behinderte Kinder.

Stimmt es, dass durch die Altstadtsanierung mehr als 10.000 Arbeitsplätze geschaffen wurden?

Das ist richtig. Allein im Bausektor arbeiten über 4.000 Menschen. Dazu kommen rund 500 Architekten, Ingenieure und andere Experten, fast 3.000 Beschäftigte in den Hotels, Cafés und Restaurants und etwa 2.000, die für Sauberkeit auf den Straßen und die öffentliche Ordnung Sorge tragen. Jeden Tag entstehen durch die Sanierungsarbeiten nicht nur direkt neue Arbeitsplätze, sondern auch indirekt. Viele „Habaneros“, unter ihnen in erster Linie Kunsthandwerker, verkaufen in der Altstadt ihre Produkte an die Touristen.

Da viele Waren des täglichen Bedarfs nur in harter US-Währung erhältlich sind, kann man vom kubanischen Durchschnittslohn allerdings nur schwer überleben …

Schauen Sie, man muss Kuba mit den Verhältnissen in Lateinamerika und nicht mit Europa vergleichen. Und im Unterschied zum Rest Lateinamerikas müssen die Kubaner zum Beispiel so gut wie nichts für ihre Wohnungen bezahlen – zu 90 Prozent sind sie entweder Eigentümer oder ihre Miete ist sehr billig. Auch die Telefongebühren sind wie die Stromkosten lächerlich niedrig. Die Kubaner zahlen für die Schulen genauso wenig wie für ihre Gesundheitsversorgung. Das alles ist eine Art indirektes Einkommen.