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Kleine Soziologie des Geschirrschranks

Auch das nützlichste aller nützlichen Geräte wird irgendwann entbehrlich, oder: Zeig mir dein Racletteset, und ich sage dir, wer du bist. Tempi passati: Haushaltsartikel als Spiegel der Seele, des Geschmacks und der Moden  ■ Von Adrienne Braun

Mit dem Irish Coffee fing alles an. War es ein Geschenk oder eine der ersten Errungenschaften der jungen Familie? Eines Tages jedenfalls stand das Irish-Coffee-Set in der Glasvitrine. Am Sonntag mittag wurde der kleine Rechaud gezündet, andächtig saß man vor dem schräg eingehängten Glas und freute sich auf den Kaffee mit weichem, warmem Schaum.

Irgendwann, vielleicht nachdem die Jüngste sich an dem heißen Getränk den Mund verbrannt hatte, blieben die Gläser mit dem goldenen Aufdruck selbst am heiligen Sonntag im Schrank. Der Göttergatte stieg um auf arabischen Kaffee. Gleiche Zeit, selber Ort, nur diesmal braute er auf dem Küchenherd ein schwarzes Gesöff, das nach Anis und Vanille schmeckte. Doch auch das ist lange her, in dem Messingtöpfchen sammeln sich heute heimatlose Knöpfe, Gummis und Pfennigstücke an. Tempi passati: Dann kam die Zeit des Espresso, oder vielleicht war es auch erst die Ära das Milchkaffees, nach deren Ende all die bunten Steinguttassen der Sinnlosigkeit anheimfielen.

Tempi passati. Es scheint, als seien Haushaltsartikel ein Spiegel der Seele des Menschen. Zumindest lassen sie auf den Geschmack der Freunde und Verwandten schließen. Dort, wo die Schränke überquellen, dort kehre ein, denn es müssen gastfreundliche Menschen sein, die bei zahllosen Einladungen die Freunde immer wieder in Zugzwang brachten, hübsch verpackte Sinnlosigkeiten der Haushaltswelt als Mitbringsel zu kredenzen. Wie groß war das Hallo, als die Freunde damals zusammenlegten und eine Eismaschine ins Haus brachten. Wie gut hatten sie es gemeint, nicht ahnend, daß sie der Hausfrau ein bis heute unverändert schlechtes Gewissen einpflanzten, das jedesmal dann zutage tritt, wenn sie ein gekauftes Fürst-Pückler-Eis auf den Tisch bringt.

Gewiß, man hat sich über all die Geschenke aufrichtig gefreut. Doch irgendwann stellten sich Zweifel ein, da nämlich, als der dritte Fonduetopf in den Schrank wanderte, als man beim Frühjahrsputz wieder einmal die Käsereibe abstaubte, ohne sie je benutzt zu haben.

Als die Freunde beim nächsten Sommerfest geblümte Kochmützen und Küchenschürzen für Sie und Ihn mitbrachten, fühlten sich die Gastgeber schuldig. Obwohl der Stoff von ausgezeichneter Qualität war, obwohl man nie genug Schürzen haben kann. Doch es stellte sich ein ungutes Gefühl ein: Andere wären dankbar, sie bekämen überhaupt ein Geschenk, nur ich, zum Teufel, denke an nichts anderes als an die vollen Schränke!

So wurden die schönen Präsente allmählich zur Last, die sich im Lauf der Jahre noch verstärkte. Freundschaften zerbrachen, die Eitrenner, Tellerwärmer und Schneckenzangen aber blieben und übervölkern bis heute die Schränke.

Nüchterne Menschen haben es da einfach. Spätestens beim nächsten Umzug wird all den schönen Stücken der kurze Prozeß gemacht. Der Romantiker aber steht in regelmäßigen Abständen fassungslos vor dem Schrank, läßt die eigene Vergangenheit Revue passieren, spürt, daß er altert mitsamt dem stolz Erworbenen. Kinders, wie lang sind sie her, die sechziger Jahre, als mit der Flotten Lotte alles kurz und klein gedreht wurde, um sämtliche Abwege der Kochkunst abzumarschieren. Dann die Siebziger, mit denen das Waffeleisen einzog. Am Samstagmittag gab es hausgemachte Waffeln, der Puderzucker wurde mit dem naßgeschleckten Finger abgetupft, und die Wohnung duftete nach Glück. In den Achtzigern waren dann Crèpes- Pfannen en vogue, nach dem Essen wurde flambiert, und man glaubte, zur besseren Gesellschaft zu gehören.

Und urplötzlich dokumentierten die Haushaltsartikel die biographischen Stationen ihres Besitzers. Es war 1982, als Skifahren noch nicht in Verruf gekommen war und das Racletteset aus der Schweiz mit nach Hause wanderte und mühsam zu reinigen war, grad wie der Heimgrill mit den unendlich vielen Rillen, aus denen mühevoll nach der Balkonsaison das Fett der Partywürstchen mit einem Ohrenstäbchen rausgekratzt werden mußte.

Oder der Sahnesiphon, das Zwölferset für gratinierte Zwiebelsuppe, der Radischneider, das Gerät zum Verschweißen von Einmachbeuteln, Franz Josef Strauß als Salzstreuer, sie alle sagen mehr als jedes Fotoalbum. Ach, und der Wok, der steht noch ganz vorne im Schrank und will nicht glauben, daß auch er irgendwann einmal zum alten Eisen gehören wird.

Wer einen kühlen Kopf bewahrt, entgeht vielleicht der Melancholie und kann sich in ungeahnte intellektuelle Höhen aufschwingen und zum Soziologen im Geschirrschrank werden. Wie gescheit könnte das klingen. Zum Beispiel das Fondueset: Dokument der Nivellierung gesellschaftlicher Unterschiede. Arm und reich, Bonze und Bauer durften endlich ihre Brotkrumen in denselben Käsetopf halten. Oder die Tupper-Parties: Integration der Hausfrau in ökonomische Prozesse, Etablierung eines zweiten Wirtschaftskreislaufs fernab der Kaufhausphilosophie. Und warum brutzeln wir heute den Fisch nicht in der Pfanne, sondern auf diesem elend schweren heißen Stein? Renaissance archaischer Riten? Exotismus? Was werden die Soziologen über uns Geschöpfe der neunziger Jahre schreiben?

Während die Gedanken vor dem Geschirrschrank dahinschweifen, überkommt einen plötzlich das Erkenne-dich-Selbst. Doch Vorsicht, es kann gelegentlich zu schweren Selbstzweifeln führen. Hätte man eine unheilvolle Partnerschaft nicht voraussehen können, nachdem die neue Liebschaft am Morgen danach lustvoll das Ei mit den mörderischen Krokodilzähnen des metallenen Eieröffners guillotinierte? Hätte man nicht gleich erkennen können, daß ein hartherziger Mensch sein muß, wer die Grapefruitschnitze mit einem scharfgezackten Löffel heraussäbelt?

Schluß damit. Jetzt wird der Schrank wieder zugemacht, die leidigen Dokumente der Vergangenheit dem Staub anheimgegeben. Beim nächsten Sperrmüll fliegt alles raus. Oder vielleicht gründen Nichte, Neffe, Freundin oder Bekannter einen eigenen Hausstand und bekommen all die praktischen Dinge geschenkt – ohne Erbarmen, ohne Rückgaberecht! Dann könnte man endlich mal wieder eine Party feiern, die leergefegten, gierigen Schränke mit neuem Geschenkgut bestücken. Und sich mal wieder richtig freuen über Steamer, Poissonière oder Nudelteigmaschine und all die unentbehrlichen Artikel der schönen, bunten Haushaltswelt.

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