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Kleinbordell versus Laufhaus"68" und die Prostitutionsfolgen

Im Laufhaus verdient der Staat leichter mit an der Prostitution. Schleichend werden die Frauen von der Straße vertrieben.

Berlin will nicht mehr "arm, aber sexy" sein, sondern eher reich und primitiv. Allein in den letzten 5 Jahren, also nach der Einführung eines neuen rot-grünen Prostituiertengesetzes, wurden im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf 12 Kleinbordelle geschlossen, in Tempelhof 5 und in Mitte 4. Laut Radio Berlin-Brandenburg fürchten derzeit rund 20 Bordellbetreiberinnen um ihre Existenz, weil Bauämter der Stadt mit Schließungsverfügungen gegen sie vorgehen - mit der Begründung: Wohnen und Prostitution passen nicht zusammen.

So argumentiert etwa Charlottenburgs Baustadtrat Hans-Dieter Gröhler (CDU) und kann sich dabei auf die geltende Rechtsprechung stützen: Fast sämtliche höchstrichterlichen Urteile verneinen die Möglichkeit der Ausübung von Prostitution in Misch- bzw. allgemeinen Wohngebieten. Für die Prostitution ist nach wie vor allein das Gewerbegebiet vorgesehen.

Hinter dieser Argumentation steckt der Drang, den Einzelhandel - die Wir-AG, das Kleinbordell - zu verdrängen zugunsten von Malls, Arcaden - Laufhäusern, Großbordellen. Bei dem Prostituiertengesetz ging es auch und vor allem um das Besteuern der Einnahmen von Prostituierten. Steuerfahnder machten danach sogar Jagd auf heroinabhängige Mädchen, die z. B. an der Kurfürstenstraße anschaffen gehen. In Großbordellen muss der Fiskus das nicht: Es reicht ihm, wenn die Betreiber ihre Mieteinnahmen (etwa 80 Euro pro Tag und Mädchen) versteuern. Insofern ist die schleichende Vertreibung der von den Frauen selbst organisierten Kleinbordelle mindestens politisch gewollt.

Laut der Mitinitiatorin des Prostituiertengesetzes, der grünen MdB Irmingard Schewe-Gerigk, sind die Großbordelle in Industriegebieten, wo in den bis zu 60 Zimmern wie am Fließband "gearbeitet" wird, "ein Wirtschaftsfaktor und der Staat kassiert große Summen". Die auf dem Straßenstrich stehenden Frauen wehren sich dagegen, in solche Laufhäuser abgedrängt zu werden. Als eine Marzahner PDS-Bezirksverordnete den Mädchen, die nachts an der Straße nach Biesdorf standen, was Gutes tun wollte, indem sie sich für ein Laufhaus einsetzte, bekam sie von ihnen zu hören: "Nein, das wollen wir nicht." Auf dem Straßenstrich könne man kommen und gehen, wie man wolle, auch müsse man nicht für ein Zimmer zahlen - und dann kämen womöglich keine Freier.

In Spiegel-Online gibt es derzeit eine von Alice Schwarzer angestoßene Debatte, in der sie behauptet, dass das neue Prostituiertengesetz die Ausbeutungssituation in den Großbordellen verschlimmert habe. Sie erzählt vom Laufhaus "Colosseum" in Augsburg: "Dort hatte die Polizei bei einem Großeinsatz 30 Frauen zu Einzelbefragungen mitgenommen und der Staatsanwalt anschließend Anklage erhoben. Denn die Frauen hatten zum Beispiel eine 'Anwesenheitspflicht' von 13 Stunden, von 14 Uhr bis 3 Uhr nachts, mussten sich im Kontaktraum permanent splitternackt aufhalten, durften nicht telefonieren, mussten alle Wünsche der Freier erfüllen, sonst wurde ihnen das vom Lohn abgezogen etc. Doch der Bordellbetreiber gewann den Prozess, denn er hat dank des neuen Gesetzes ein 'Weisungsrecht' und 'Kontrollbefugnisse'. Das Gericht argumentierte: Schließlich sei die Prostitution heute ein 'ganz normales Gewerbe'."

Die Frankfurter Hurenorganisation "Dona Carmen" geht davon aus, dass über 80% der Prostituierten heute Ausländerinnen sind - für die das neue Gesetz überhaupt nichts bringe. Sie benötigen zuvörderst eine Arbeitserlaubnis - eine Art "Green Card". In Österreich, wo es so etwas Ähnliches bereits gibt, kam es daraufhin zu einem kuriosen Skandal: Man hatte einer osteuropäischen Frau erlaubt, in einem Wiener Bordell zu arbeiten. Nach einiger Zeit wollte sie dort aufhören und stattdessen als Putzfrau arbeiten. Das wurde ihr jedoch nicht gestattet - und mit Abschiebung gedroht.

Dona Carmen ist sich mit Alice Schwarzer einig, dass das neue Prostitutionsgesetz zur Verschärfung der Lage sogar noch beigetragen hat. Auch SPD, Grüne, FDP sowie PDS/Die Linke folgten inzwischen dieser Erkenntnis und haben sich gegen eine Schließung der Wohnungsbordelle ausgesprochen. Im Juni wurde auf Verlangen des Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen in Charlottenburg-Wilmersdorf vom SPD-Wirtschaftsstadtrat ein runder Tisch einberufen, an dem neben der Beratungsstelle Hydra die Gewerkschaft Ver.di und der CDU-Baustadtrat sitzen. Im Juli wurde dann den Prostituierten zugesichert, vorerst keine Kleinbordelle mehr zu schließen.

Diese sind eine direkte Folge von "68". Bis dahin gab es in Westberlin fast nur Prostituierte mit Zuhältern. Als dann immer mehr linke Frauen anfingen, im "Milieu" zu arbeiten, entstanden auch bald die ersten Frauengruppen, die zuhälterfreie Kleinbordelle eröffneten. Das derzeitige Hickhack um dieses selbst organisierte Gunstgewerbe hat also auch etwas mit der Zurückdrängung aller antiautoritären "68er-Impulse" zu tun. Die CDU-Familienministerin von der Leyen droht sogar, alle Prostituierten dahingehend zu bearbeiten, dass sie wieder zurück an Heim und Herd finden. Die englischen Prostituierten hatten dagegen bereits 1969 vehement protestiert: "Home-Fucking is destroying Prostitution!" hieß ihre Parole.

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