Kleidung, die wir vermissen: Das Drunter ist ein Drüber
Ein Schlafhemd mit Rollkragen, eine elegante Unterhose mit langem Bein und kurzem Leib - ist das zu viel verlangt? Die Welt, erklärt an Damenunterwäsche, ist mangelhaft.
Alles, was in diesem Artikel steht, hat mit Kleidung zu tun, die direkt auf der Haut ist. Kleidung, die es nicht gibt.
Eines der Kleidungsstücke, das fehlt, ist ein Schlafkleid. Mein Schlafkleid. Ich weiß, dass es meines nicht gibt, weil ich es von Kindheit an suche. Denn schon damals musste ich im Winter in Zimmern übernachten, die man nicht heizen konnte. Und jetzt sind sie auch wieder kalt, da Nachhaltigkeitsvernunft verlangt, dass sie ungeheizt bleiben.
Ich gehöre zu jenen Menschen, deren Arme wie Flügel sind. Nachts im Schlaf fliegen sie umher so lange, bis ich mich ergebe. Wer mich sähe, sähe mich liegend, die Arme rechts und links neben dem Kopf - sommers und winters.
Aber im Winter, halb angezogen nur im kalten Zimmer, da drohen Schnupfen, Husten und Fieber. Es ist die Kälte am Hals, auf der Brust, die so stört. Beim Fliegen im Schlaf spüre ich sie nicht. Schlafhemden für Frauen indes, die sind halsfern. Ja und ein wenig brustfern dazu - denn nachts, da soll Verführung mitschwingen im Schlaf. Wenn nur nicht die Halsschmerzen wären.
Irgendwann fand ich die Lösung und die Lösung lag nah: Was ich anhabe, muss einen Rollkragen haben. Je dicker am Hals, desto besser. Weil ich auf die Hose verzichte, denn eigentlich will ich nackt sein im Schlaf, schleicht sich die Verführhand von unten heran.
Wobei das mit der Verführhand erst nach dem ersten Schock kommt. Stellen Sie sich vor, eine Begehrte: oben trägt sie Rollkragen, unten ist sie nackt. "Ich bin keine Urologin", hat die Frau gesagt, die mich zum ersten Mal in meinem Leben verführte. Aber selbst wenn ich wollte: Schlafanzüge mit Rollkragen gibt es nicht.
Dieser Artikel und viele andere Texte erscheinen in der sonntaz vom 30./31. Oktober 2010. Ab sofort mit noch mehr Seiten, mehr Reportagen, Interviews und neuen Formaten. Die sonntaz kommt jetzt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.
Halt stopp, das war nicht die Wahrheit. In einem kleinen Versandhandel in einem Ort, den ich nicht kenne und der Ingersheim heißt, da habe ich einmal einen gesehen, bestellt und bekommen. In Naturweiß. Ungebleicht. Das Oberteil indes war so kurz, dass es mir in die Achseln rutschte. Da habe ich kurzerhand das Leibchen eines anderen T-Shirts, eines roten, darangenäht. Das kräuselt sich stark. Wie ein Funkenmariechen sehe ich nun aus, wenn ich das Schlafkleidchen trage.
Allerdings stellte sich sofort heraus, dass Funkenmariechens Schlafkleid noch mehr Vorteile hat: Ich sehe angezogen aus darin. Klingelt Überraschungsbesuch an der Tür, brülle ich nicht "einen Moment bittte", während ich mich in die Jeans zwänge, zum Flur stolpere, dabei den Reißverschluss versuche zu schließen, um angezogen zu öffnen. In meinem Rollkragenschlafkleid bin ich angezogen. Um meine Nacktheit weiß nur ich.
Die Unterhose
Jetzt, wo dieser Text schon so viel Offenheit vorgibt, kommt die Unterhose hinzu, die es nicht gibt. Sie hat Beine, die bis zum Knie reichen. Jede Frau, die je versucht hat, so eine Unterhose zu kaufen - mit Zwickel, nicht mit Naht - ohne den Glauben daran zu verlieren, dass ihr Körper schön ist, schön wie der von Aphrodite, schön wie der von Helena, schön wie der von Marilyn Monroe, Marlene Dietrich, Naomi Campbell, ist eine Heldin. Denn solche Unterhosen, die die Oberschenkel auf mütterliche Weise im Winter vor Kälte schützen, die gibt es nur für Matronen. Der Leib der Hose reicht bis zu den Brüsten. Es ist ein Sack, den man sich überstülpt. Ich allerdings will Unterhosen mit längeren Beinen und kurzem Leib. In schönem Material, Baumwolljaquard, Seidenjersey, Microfaser, mit Spitze verziert.
Wenn Schweizer Luxusmarken so was vertrieben, ich würde schwach werden, das weiß ich. Nur, die Versuchung bleibt mir erspart: Es gibt sie nicht. Stattdessen reicht man mir eine Kordel für die Falte meines Hinterns und nennt es Stringtanga. Dabei geht es um Streicheln und nicht um Gezwicktwerden.
Einmal aber habe ich doch so eine Hose in kleiner Größe gefunden. Ich habe oben die Hälfte abgeschnitten, sie umgenäht und einen Gummi durchgezogen. Das Wohlefühl ist schon da, das Auge indes, das muss leiden.
Der BH
Der BH-Größen-Rechner ist neutral: AA 80 ermittelt er. Wem das nichts sagt, dem sei versichert: Da ist auch nichts - außer Brustwarzen. Wenn es kalt ist, stehen sie wie Eifeltürmchen vom Körper. Dann fühle ich mich, obwohl ich doch angezogen bin, ganz und gar nackt.
BHs aber gibt es nicht in meiner Größe. Größere jedoch, mit denen ich Luft durch die Gegend trüge, will ich nicht haben. Es bleibt, was sich Bustier nennt. Ein Hemdchen ohne Leibchen ist es - hauchzart. Dank der extra Wärme über den Brüsten wird der Eiffelturmeffekt etwas begrenzt. Im Winter muss ich mehrere davon übereinander tragen, denn es gibt diese Dinge nur in allerdünnstem Material. "Sie können sich die Brustwarzen doch abkleben", rät eine Karstadt-Verkäuferin, angesprochen auf meine Eiffelturm-Scham. Sie holt etwas aus einer Schublade in der Form einer Blüte, das ich mir auf die Brustwarzen kleben soll. "Nein", sage ich, "ich will das nicht auf die Haut kleben." "Dann kann ich Ihnen nicht helfen."
Würden Frauenrechtlerinnen, Genderforscher, Blaustrümpfe die Welt an Unterwäsche erklären, es würden mehr Frauen verstehen, dass etwas nicht stimmt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland