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Archiv-Artikel

Klausur mit offenem Ende

Thilo Sarrazin drängt auf nicht mehr rückgängig zu machende Strukturveränderungen. 1,5 Milliarden Euro will er im Haushalt streichen. Seine Senatskollegen mucken auf. Heute gehen sie in Klausur

von STEFAN ALBERTI

In Thilo Sarrazins ursprünglicher Planung lief der Termin nur unter „gegebenenfalls“, und auch schon für die vergangene Woche. Davon ist längst keine Rede mehr. Die heutige Klausurtagung des SPD-Finanzsenators mit seinen Senatskollegen gilt als wichtiger Meilenstein für den umstrittenen Landeshaushalt der nächsten beiden Jahre.

Das Umfeld kennen die Teilnehmer – Senat, die Fraktionschefs von SPD und PDS, weitere Finanzexperten – zur Genüge. Gut ein halbes Dutzend Mal haben sie sich seit Amtsantritt von Rot-Rot Mitte Januar 2002 im Senatsgästehaus in Grunewald getroffen und um einen rechteckigen hölzernen Konferenztisch gesessen. Nie aber ging es um derart umfangreiche und umstrittene Entscheidungen. Trotz Open End erwartet Vizesenatssprecher Günter Kolodziej nicht, dass der Etat am Klausurende steht. Bis zum geplanten Beschlusstermin für den Haushaltsentwurf bleiben dann noch zehn Tage.

Rund 1,5 Milliarden Euro will der Finanzsenator in den nächsten beiden Jahren bei den Ausgaben des Landes kürzen. Teilweise ist auch von 2 Milliarden die Rede, um laufende Einnahmen und Ausgaben ins Lot zu bringen. 1,5 Milliarden, das ist 13-mal so viel, wie das Land seinen drei Opern zuschießt. Das ist mehr als alle Zuschüsse an die Berliner Hochschulen zusammengenommen.

Am Konferenztisch des Gästehauses wird Sarrazin laut Kolodziej gleich zu Beginn vorrechnen, was bei den so genannten Chefgesprächen mit seinen Senatskollegen in den vergangenen Wochen herumgekommen ist. Der Finanzsenator hatte sich zuvor nicht zusätzlich beliebt gemacht. Er ging die Einzelbudgets seiner Kollegen durch, überraschte mit immer neuen Sparvorschlägen. Ablehnungen akzeptierte er dem Vernehmen nach nur durch einen Alternativvorschlag. Heftig diskutiert wurden vor allem Forderungen nach weniger Ausgaben in den von der PDS verantworteten Bereichen Soziales und Wissenschaft.

„Für mich nicht akzeptabel“, reagierte etwa Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) auf eine Idee Sarrazins. 33 Millionen Euro wollte er einsparen, indem das Land die Sozialhilfe auf Brandenburger Niveau senkt. Knake-Werner machte öffentlich Front dagegen. Dafür erntete sie noch am vergangenen Wochenende Schluterklopfen in der PDS-Fraktion. Die Spitze um Landes- und Fraktionschef Stefan Liebich und Wirtschaftssenator Harald Wolf jedoch hält ihre Strategie für falsch. Am Ende werde man Einschränkungen im Sozialen doch nicht verhindern können und stehe dann unglücklich als verhinderter Verhinderer da.

Im Wissenschaftssektor hatte Sarrazin jüngst vorgeschlagen, dass Berlin sich stärker auf naturwissenschaftliche Fächer konzentriert. PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf – er studierte Ende der 70er an der Freien Universität Politologie – konterte: Es müssten auch Fachbereiche an den Universitäten gefördert werden, deren Nutzen für die Wirtschaft der Stadt nicht direkt nachweisbar sei. Über frühere Ankündigungen Sarrazins, ab 2006 den Universitäten jährlich 200 Millionen Euro weniger zuzuschießen, hatte sich der Wissenschaftssenator Thomas Flierl als dritter PDSler beschwert.

Die immer neuen Sparideen Sarrazins nerven angeblich selbst den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Der Thilo solle jetzt mal seine Charts stecken lassen, heißt es von ihm. Das klingt nicht anders als auf Bundesebene. Dort heißt der Sarrazin Hans Eichel, dort wird SPD-Fraktionschef Franz Müntefering zitiert mit „Hans, jetzt ist mal gut“.

Für Thilo Sarrazin ist hingegen noch gar nichts gut. Anfang Juni ließ SPD-Fraktionschef Michael Müller durchblicken, 800 Millionen Euro Sparsumme seien beisammen. Gerade mal die Hälfte der angepeilten Sparsumme wäre das, und auch nur, wenn man nicht von 2 Milliarden ausgeht. Der Regierende Bürgermeister hat im Vorfeld der Klausur angedeutet, dass das Sparziel nicht erreicht werden könnte. Die Oppositionsfraktionen spekulieren bereits über den Abgang des Finanzsenators. Der hatte schon beim ersten rot-roten Haushaltsplan vor 15 Monaten verkündet: „Damit bin ich nicht zufrieden.“

Ob er dieses Urteil wiederholt, wird offenbar nicht an einzelnen Millionen hängen. Zentral sind für Sarrazin die Strukturentscheidungen, die nicht rückgängig zu machen sind. Da gleicht er einem Wanderer, der alle Brücken hinter sich löst: Der kann dann nur noch weiter zum Ziel – oder auf der Strecke bleiben.