: Klassenkampf und Cabaret
Die Doppel-Ausstellung „Pariser Leben“ im Wallraf-Richartz und im Käthe-Kollwitz-Museum zeigt die Anfänge der Lithografie. Aber auch die sozialen Missstände in der so genannten „Belle Epoque“
AUS KÖLNJÜRGEN SCHÖN
Noch heute zehrt die französische Metropole von einem Image, das eigentlich vor über hundert Jahren entstand. Paris – die Stadt der Liebe und der Kunst. Vor allem Maler waren es, die mit ihren Bildern den Ruf in die ganze Welt trugen. Die Erfindung der Lithografie half ihnen dabei, ihn immer weiter zu verbreiten. Eine Doppelausstellung in zwei Kölner Museen zeichnet jetzt den künstlerischen Aufbruch um die Jahrhundertwende 1900, in der so genannten „Belle Epoque“, nach. Da pulsierte in der damals wichtigsten Kunstmetropole der Welt das Leben und die Künstler gingen neue Wege: Realismus, Impressionismus, Art Nouveau.
Objekte der Begierde
Die Ausstellung „Pariser Leben – Französische Handzeichnungen und Druckgraphik 1860 - 1910“ im Wallraf-Richartz-Museum ist eine Übernahme aus dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover, die aus eigenen Beständen und mit Leihgaben anderer Museen der Stadt kräftig erweitert wurde. Zu sehen sind thematisch gegliedert über 300 Gemälde, Skulpturen, Fotos, Zeichnungen und Druckgrafiken bekannter und weniger bekannter Künstler dieser Zeit. Im Vordergrund steht das Thema Frau: Als Heilige und Hure, Objekt männlicher Begierde und gefährliche Verführerin zugleich. Aber auch als liebevolle Mutter, schließlich als die Süße von Renoir und Degas. Aber auch Paris als Stadt der Illusionen und der Unterhaltungsindustrie, für die zeitgenössische Stars wie Henri de Toulouse-Lautrec die bunte Litho-Werbetrommel rührte und das Plakat endgültig zum Kunstwerk machten. Das technikverliebte und fortschrittsgläubige Paris zeigen Entwürfe des Kölner Architekten Jakob Ignaz Hittorf, verantwortlich für die pompöse Gestaltung der Place de la Concorde und der Gare du Nord.
Neue bunte Werbetafeln
Toulouse-Lautrec steht im Mittelpunkt der Ausstellung im Käthe-Kollwitz-Museum. Seine Werbe-Plakate für Aristide Bruant, Yvette Guilbert oder Jane Avril, den Stars der Pariser Cabarets, haben bis heute nichts an Faszination verloren, sind immer noch Highlights des Posterhandels. Sein Erfolg kam wie ein Paukenschlag mit dem ersten Plakat »La Goulue«, das 1891 für das Moulin Rouge entstand. Lautrec brachte damals die Farbe in die Lithographie, der bis dahin als künstlerisches Medium schwarz-weiß vorbehalten war. Die Ausstellung „Toulouse-Lautrec und die Künstler des Montmartre – eine Sternstunde der Lithographie“ dokumentiert seine künstlerische Entwicklung und zeigt Arbeiten in verschiedenen Zustandsdrucken und seltene Mappenwerke. Aber auch Lithografien von Mucha, Bonnard, Pissarro und Cheret.
Klassenkampf in Lumpen
Aber die Künstler verarbeiteten auch den blutigen Klassenkampf, soziale Misstände wie Armut, beengte Wohnungen oder Antisemitismus während der „Belle Epoque“. In der Kölner Ausstellung bilden solche Motive in homöopathischer Dosis den Kontrapunkt zu Glanz und Glitter. Da sind etwa die selbstbewussten Arbeiter von Steinlen oder das Paar vor seinem „kargen Mahl“, von Picasso hart am Sozialkitsch radiert. Da sind Wäscherinnen und Lumpensammler. Historische Fotos und eine Zeichnung von Manet erinnern an die Pariser Commune von 1871 und deren Tote, Gerichtszeichnungen an die Dreyfuss-Affäre. Und wer Lautrecs Mappenwerk „Elles“ betrachtet, erkennt nicht nur das Vergnügen, das ein Bordell verspricht, sondern auch die Trostlosigkeit, die dort herrscht.
Wallraf-Richartz-Museum, KölnBis 8. Januar 200617.11., 16.30 Uhr, FührungKäthe-Kollwitz-Museum, KölnBis 29. Januar 2006