Klage gegen EEG-Umlage: Drechsels Zorn
„Ökologischen Schwachsinn“ nennt Bernd Drechsel die EEG-Umlage. Ungerecht sei sie außerdem. Deswegen klagt der Inhaber einer Firma für Textilveredlung.
SELB taz | Dass Bernd Drechsel nicht mehr an Gerechtigkeit glaubt, hat auch etwas mit dem Teich zu tun. „Hier“, sagt der lang aufgeschossene, hagere Mann und deutet auf eine Luftaufnahme an der Wand des Konferenzraums im Verwaltungsgebäude seiner Firma. Darauf zu sehen ist das 40.000 Quadratmeter umfassende Gelände seines Unternehmens, der Textilveredlung Drechsel GmbH. Die Spitze seines schlanken Zeigefingers kreist über der nordöstlichen Ecke des Bildes.
Die Fotografie wurde im Sommer aufgenommen und dort, wo Drechsel hindeutet, ist wegen der dort stehenden Bäume gar kein Teich zu sehen. Aber er ist wichtig. Der Teich hat den Unternehmer geprägt. Wer die Geschichte kennt, kann nachvollziehen, warum Drechsel dagegen klagt, dass seine Firma die sogenannte EEG-Umlage bezahlen muss. Die Abgabe, mit deren Hilfe die Bundesregierung die Energiewende bezahlen will.
Im Stehen hat Drechsel die knochigen Schultern leicht nach vorne geneigt, wie einer, der als Kind schon hoch aufgeschossen war. Zum Erzählen nimmt er wieder an dem langen Konferenztisch Platz: „Irgendwann Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre begann das Grundstück über unserem grünlich zu schimmern“, sagt Drechsel. Damals war der 46-Jährige noch ein Kind.
Sein Vater und sein Großvater müssen ihm die Geschichte erzählt haben. Wie leicht einem als Unternehmer Unrecht geschehen kann, wenn man nicht aufpasst, ist bei den Drechsels also tradiert. Die Gutachter, die das Landratsamt schickte, um den Teich zu untersuchen, stellten fest: Das Wasser und das Erdreich um den Teich waren mit Kadmium und Blei verseucht. Doch statt den Erkersreuther Bach, der den Teich speist, zurückzuverfolgen, sollte die Unternehmerfamilie für den unverschuldeten Schaden aufkommen.
Veredeln in der Dritten Generation
Die Drechsels veredeln Textilien in der dritten Generation. In langen Werkshallen produziert das Unternehmen Plisseegardinen, Badezimmervorleger, Mikrofaserauflagen für Reinigungsmaschinen, Splitterschutzwesten und Bundeswehrzelte. Um die Stoffe zu färben, bleichen, beschichten, bedrucken oder infrarot-absorbierend zu machen, sind eine Menge Chemikalien nötig. In den kleinen Teich auf dem Grundstück seien diese trotzdem nie gelangt, sagt Drechsel.
Die Umlage: Das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) regelt die bevorzugte Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen ins Stromnetz und garantiert den Erzeugern feste Einspeisevergütungen. Mit der Umlage werden die Kosten auf die Stromendverbraucher verteilt.
Die Härtefallregelung: Das EEG entlastet Unternehmen, die besonders viel Strom verbrauchen. Für Betriebe, deren Stromkostenanteil mindestens 14 Prozent der Bruttowertschöpfung beträgt, ist die EEG-Umlage gedeckelt.
Die Klage: Das Landgericht Bochum hat die Klage von Bernd Drechsel in erster Instanz abgewiesen. Nun will er vor dem Oberlandesgericht in Hamm in Berufung gehen. Rechtlich stützt sich die Klage auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Gerrit Manssen, der die Abgabe als eine unzulässige Subvention und damit als verfassungswidrig bezeichnet. Analog zum "Kohlepfennig" nutze die EEG-Umlage den Energieversorgern und belaste im Gegenzug Verbraucher und kleinere Unternehmen. Der Verband Textil und Mode unterstützt Drechsels Klage. (taz)
„Man wollte uns weismachen, der Fluss fließe von unten nach oben“, berichtet er sarkastisch. Ein Verursacher der Verseuchung konnte nicht ausgemacht werden, obwohl es mehrere Untersuchungen gab. Dabei „hätte man nur den Bachlauf gen Norden zurückverfolgen müssen, dann wäre man darauf gekommen, dass die Chemikalien von der alten Zinkerei stammen, die da einmal stand.“ Weil das aber niemand tat, zog sich der Prozess bis zur Jahrtausendwende hin.
„30 Jahre lang“, sagt Drechsel und schüttelt den Kopf. Erst im Jahr 2000 waren die Behörden in der Lage, den wahren Verursacher zu bestimmen – den es nicht mehr gibt. Erst jetzt wird das verseuchte Erdreich im Zuge einer Baumaßnahme saniert. Drechsel hat gelernt: Wenn er nicht für sich selbst einsteht, dann macht es keiner.
Im Moment prozessiert der Unternehmer aus dem oberfränkischen Selb gegen die Stadtwerke Bochum, die ihm die sogenannte EEG-Umlage berechnen. Es ist ein Stellvertreterkrieg, wenn man so will. Denn Drechsels Zorn richtet sich gegen die Bundesregierung und gegen ihr Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es sieht vor, dass die Kosten der Energiewende von den Stromverbrauchern bezahlt werden müssen. Auch die Drechsel GmbH ist ein Stromverbraucher. Man könnte sagen: ein guter Kunde.
„Umweltintensive Branche“
Die Textilveredlung ist das, was man eine „umweltintensive Branche“ nennt, also eine, die große Mengen an Wasser und Energie verbraucht. Bernd Drechsel hat sich alles genau ausgerechnet: Im Jahr 2011 hat das Unternehmen 3.403.960 Kilowattstunden Strom verbraucht. Drechsel hat dafür 120.159 Euro EEG-Abgabe an den Bund bezahlt.
Bei einem Gewinn von etwa 150.000 Euro wie im Krisenjahr 2009 bliebe dem Unternehmer am Ende nicht mehr viel. „Wird die EEG-Umlage in diesem Jahr noch mal angehoben wie geplant“, rechnet er vor, „geht das an unsere Existenz.“ Aber das ist es nicht allein. Er will die Abgabe auch deshalb nicht bezahlen, weil er sich im Vergleich zu anderen, größeren Unternehmen benachteiligt fühlt.
Geduldig führt Drechsel in Jeans und hellblauem Hemd durch die weiten Hallen des Betriebs, vorbei an dicken Spulen, auf denen die aufgerollten Textilien auf den nächsten Behandlungsschritt warten. „Wir sind ein Mehrgenerationenbetrieb“, erklärt er. Gegründet vom Großvater. Gemeinsam mit dem Schwager färbte der nach dem Krieg Wehrmachtsuniformen um.
Wie bei vielen Familienunternehmen zeugt auch bei den Drechsels eine Schwarz-Weiß-Fotografie davon: Zu sehen sind drei junge Männer in kurzärmeligen Hemden, die abenteuerlustig in die Kamera blicken. Bis zum Jahr 2000 war Friedrich Drechsel noch jeden Tag im Betrieb.
Seit dem Tod des Großvaters leitet Bernd Drechsel gemeinsam mit seinem Vater das Unternehmen. „Im Gegensatz zu anderen Konzernen planen wir langfristig und wollen die 135 Arbeitsplätze, die wir im Laufe der Jahre geschaffen haben, erhalten“, schreit er, damit das Dröhnen der riesigen Textilwaschanlage seine Stimme nicht verschluckt.
Keine Villa auf Mallorca
Seit 1950 habe es keine Kapitalentnahme aus der Firma gegeben, erklärt er. „Von uns hat niemand eine Villa auf Mallorca“, sagt er sarkastisch. Er und sein Vater bezögen ein moderates Gehalt. Erwirtschaftete Überschüsse habe man stets ins Unternehmen investiert. Von fünf Textilveredelungsbetrieben in der Gegend seien in den letzten zehn Jahren drei pleitegegangen. Und nicht nur diese.
In Selb, der einstigen Porzellanstadt am nordöstlichsten Rand Bayerns, unmittelbar an der tschechischen Grenze, ist vieles im Niedergang begriffen. Von über zwanzig Porzellanmanufakturen sind die meisten verschwunden. Von den drei größten ist nur noch Rosenthal geblieben. Dort, wo einmal die Hutschenreuther-Werke waren, steht heute eine Ruine.
Die Firma Drechsel gibt es noch, auch wenn das Geschäft in einer globalisierten Welt auch für Textilveredler immer schwieriger wird. Die Aufträge, die Drechsel meist von anderen Betrieben aus der Gegend bekommt, sind solche, die die großen Werke in China oder anderswo gar nicht annehmen – entweder weil die Bestellmenge zu gering ist oder das Veredelungsverfahren zu kompliziert.
Lauscht man Drechsel eine Weile, wird klar: Der Mann sieht sich selbst als aufrecht, dort wo viele unehrenhaft sind. Und als einer, der für sein Verantwortungsbewusstsein bestraft wird statt belohnt. „Energiesparende Anlagen waren schon meinem Großvater sehr wichtig“, erklärt Drechsel und zeigt mit einer ausholenden Geste auf eine der meterlangen Maschinen. Auch schon bevor es dabei um Umweltschutz ging. Seit Jahren arbeite das Unternehmen daran, seine Energieeffizienz zu verbessern. Genau darin aber bestehe nun die Krux.
Maximalbetrag gedeckelt
Zwar enthält das EEG eine Härtefallregelung für Unternehmen, die besonders viel Strom verbrauchen. Der maximale Betrag, den sie als EEG-Umlage abführen müssen, ist gedeckelt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu wahren. Doch obwohl Drechsels Firma mit den brummenden Färbekesseln und dampfenden Waschanlagen viel Energie verbraucht, gilt diese Sonderregelung nicht für ihn. Denn, und darin besteht für Drechsel das Paradox: Sein Unternehmen verbraucht gemessen an der Bruttowertschöpfung zu wenig Strom.
Just weil, so Drechsel, das Unternehmen seit Jahren so viel Strom wie möglich einzusparen versucht. „Das ist doch ökologischer Schwachsinn“, ereifert sich Drechsel. Wenn es um dieses Thema geht, verliert der sonst sehr ruhige Mann die Contenance. „Wenn wir die Investitionen in neue Anlagen und Energieeffizienz in den letzten fünf Jahren nicht getätigt hätten, würden wir heute spielend diese Hürde erreichen.“
Betriebe, die vorausschauend wirtschafteten, würden durch diese starre Regelung bestraft. Denn, so Drechsels Logik: „Betriebe, die höhere Stromkosten haben, werden einen Teufel tun und Energie sparen, weil sie Gefahr laufen, aus der Härtefallregelung rauszufallen.“ Umgekehrt gelte das Gleiche: „Betriebe, die knapp darunter sind, werden mehr Energie verbrauchen, um die Kosten der EEG-Umlage zu senken.“
Wutrede
In die Politik habe er schon lange kein Vertrauen mehr, sagt Drechsel am Ende seiner Wutrede zwischen den Maschinen resigniert. Immer wieder hat er Briefe an Abgeordnete geschrieben. Irgendjemand müsse die Energiewende schließlich bezahlen, war eine der nichtssagenden Antworten, die er immer wieder bekam. Dass ausgerechnet er das sein soll, sieht Drechsel nicht ein – und klagt. Dagegen, dass sein Unternehmen die EEG-Umlage per Stromrechnung bezahlen soll. Und damit auch gegen die „Industriefeindlichkeit“, die er in Deutschland ausmachen will.
Auch er habe Solarzellen auf die Dächer der Firma und seines Wohnhauses montiert, sagt er immer wieder, um zu demonstrieren, dass auch er Umweltschutz für wichtig hält. „Ich weiß bloß nicht, warum wir in Deutschland immer mit gutem Beispiel vorangehen müssen.“ Und wenn das kleine und mittelständische Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit koste, sei am Ende keinem geholfen.
Mit seiner Klage will Drechsel deshalb bis vors Bundesverfassungsgericht, einen Präzedenzfall schaffen und die EEG-Umlage kippen, wie er sagt. Dass das Jahre dauern könnte, nimmt er in Kauf. Hauptsache, seine Firma wird nicht schon wieder für etwas bestraft, das sie nicht verursacht hat. So wie für die Chemikalien im Teich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch