Klänge am Meersaum

Der Lyriker Johann Tammen hat sich mit dem Komponisten Vitold Rek zusammen getan

Gedichte, die nicht schnell entschlüsselt werden können, sind entweder etwas für die stille Kammer oder sie müssen vorgelesen werden. Wie wohltuend es sein kann, sie vom Autor selber zu hören, zeigt die CD „Die Erde, das singende Brot“ mit Poesie von Johann Tammen und Musik von Vitold Rek.

Der polnische Komponist ist seit Jahren bei diversen Live-Auftritten Tammens musikalischer Partner. Der Kontrabassist, der seit langem in Deutschland lebt, arbeitet in eigenen Ensembles mit Albert Mangelsdorff und Charlie Mariano zusammen und ist auf seinem Instrument wohl einer der innovativsten europäischen Jazz-Musiker.

Das gemeinsame Programm des Lyrikers und des Musikers wurde erstmals in Bremerhaven vorgestellt und im September 2002 bei einem Konzert in der ehemaligen Synagoge von Ahrweiler mitgeschnitten. Das Ergebnis ist ein dichtes Gefüge aus Wort und Musik. Tammen, übrigens neben seiner Tätigkeit als Autor auch Herausgeber der Literaturzeitschrift „die horen“, folgt keinem modischen Lyrik-Trend, er sucht nach einer Heimat, die es nur noch in der Sprache gibt. Er beschwört den Duft, den Geruch, die Farben einer Welt am Wasser, am „Meersaum“.

Tammen kokettiert mit dem Pittoresken, um im nächsten Moment seiner Poesie einen Unterboden zu geben, der jede Sentimentalität wegwischt. Er rettet eine lyrische Sprache, in der Schiffe „im Himmel ankern“, vor dem „Verschwinden im Abseits“, und Vitold Rek bringt sie zum Singen.

Rek macht die Unruhe in Tammens Texten hörbar, indem er sie mit angerissenen, stets wiederholten Melodiepartikeln verbindet. Das Titelgedicht wird von der Frankfurter Mezzo-Sopranistin Susanna Risch gesungen, ein melancholischer Belcanto, moderat modern, dem der Kontrabass antwortet.

Virtuos verknüpft Rek Elemente klassischer Satzformen mit der Improvisationskunst des Free Jazz. Nicht zuletzt ist es Tammens raue Seefahrer-Stimme, die diesen Texten ihre Fremdheit gibt und nimmt, eine Fremdheit, die der Bassmann mit seiner ebenso feinziselierten wie wuchtigen Musik bekräftigt.

Hans Happel

„Die Erde, das singende Brot“ ist erschienen bei Taso Music