: Kirchenzauber
Ich war in Eile
Rechts stand der Fernsehturm und links die Marienkirche. Vor dem Eingang saßen zwei Mütterchen auf dem Boden neben leeren Schälchen. Die Orgelmusik, die jeden Donnerstag und Freitag um 13.30 Uhr stattfindet, hatte schon angefangen. Ich war in Eile und sagte, dass ich später was geben würde. Sie segneten mich ein bisschen, auch mit Worten, die ich nicht verstand.
Die hell gestrichene gotische Kirche war gut besucht. Viele waren wohl Urlauber. Man bekreuzigte sich im Eingangsbereich, nahm von den Informationsbroschüren, guckte ein wenig unsicher, ob und wo man sich hinsetzen sollte. Die meisten Männer trugen ihre Hemden in den Hosen. Die Bänke knarrten, wenn die Leute sich setzten oder wieder aufstanden. Der Organist spielte etwas von Bach auf der historischen Achim-Wagner-Orgel von 1722. Die Akustik war großartig. In schönster Klarheit perlte die Musik so dahin.
Als sie zu Ende war, trat der Organist vor. Leider würde heute keine Orgelführung stattfinden. Auch bitte er zu entschuldigen, dass gerade renoviert werde. Als letztes Stück wolle er nun das Präludium in D-Dur von Johann Sebastian Bach spielen. Dies Stück war mir dann doch zu jubilierend und erinnerte mich an die frühen Deep Purple bzw. Emerson, Lake & Palmer. Nach einer halben Stunde war Schluss. Es gab stehenden Applaus, das Sägen und Hämmern der Bauarbeiter setzte wieder ein, und ich ging hinaus. Im Eingangsbereich wartete eins der Mütterchen. Ich gab ihr die zwei Münzen, die ich noch hatte. Sie deutete an, dass sie das Geld mit ihrer Kollegin teilen würde. Ihre Kollegin bestritt mit Gesten, dass sie mit der anderen etwas zu tun habe, jammerte was von Bosnien und hielt mich für einen herzlosen Menschen, als ich ging.
DETLEF KUHLBRODT