Kioskbesitzer über den Bild-Boykott: Jetzt ist Schluss
Seit einer Woche verkaufen ein Kiosk und eine Bäckerei in Ottensen keine "Bild"-Zeitung mehr. Damit wollen sie gegen ausländerfeindlichen Populismus protestieren.
taz: Warum gibt es in Ihrem Kiosk beziehungsweise Ihrer Bäckerei seit einer Woche keine Bild-Zeitung mehr?
Winfried Buck: Das lag an der Ausgabe von vorletztem Samstag, mit Sarrazin auf dem Titel und dem, was man in Deutschland doch wohl noch sagen dürfe. Die Aussagen waren so extrem rassistisch, populistisch und ausländerfeindlich, dass ich daraufhin die Bild-Zeitung wutentbrannt aus dem Programm genommen habe.
André Krause: Die Bild-Zeitung hat für mich Stürmer-Qualität. Es geht immer gegen die Hartz-4-Empfänger und die Migranten. Ich wollte die Zeitung schon vor zwei Jahren rausnehmen, aber da war ich relativ neu hier und habe sie mit geballter Faust in der Tasche weiter verkauft. Aber als ich die Aktion meines Nachbarn gesehen habe, war für mich klar: Jetzt ist Schluss.
Kaufmann, seit 20 Jahren im Backwarengeschäft tätig, seit vier Jahren ist er Pächter der Stadtbäckerei in der Ottenser Hauptstraße.
.........
Diplom-Ingenieur, arbeitete bis 2006 im mittleren Management der Telekom, machte sich vor drei Jahren mit dem Kiosk in der Ottenser Hauptstraße selbständig.
Winfried Buck: Als Alternative hatte ich erwogen, jeden Tag einen Zettel auf die Bild-Zeitung zu kleben mit der Aufschrift: Dies ist das schlechteste Blatt, das Sie hier kaufen können. Bezeichnenderweise sagt der Bild-Zeitungs-Käufer ja auch selbst: Eine Blöd-Zeitung bitte, ein Lügenblatt bitte, ein Schmutzblatt bitte. Niemand würde zum Bäcker gehen und sagen: "Ich hätte gern ein Scheiß-Brötchen."
Was sagen die Kunden dazu, dass sie die Bildzeitung nicht mehr bei Ihnen bekommen?
André Krause: Die Reaktionen der Kunden sind zu 99,5 % positiv. Und viele Passanten, die mein Plakat lesen, kommen rein, halten ein bis zwei Daumen hoch und gehen wieder raus. Ein Kunde starrte minutenlang fassungslos auf das Plakat. Zwei junge Frauen kamen rein und sagten: "Wow, darüber haben wir ja noch nie nachgedacht." Und die Nachbarn sagen alle: "Happy Birthday, viel Erfolg!" Beschwert haben sich vielleicht fünf, sechs Leute.
Winfried Buck: Das ist bei mir ähnlich. Manche Leute verlassen auch völlig verwirrt diesen Laden, weil es die Zeitung hier nicht mehr gibt. Erschreckenderweise haben aber auch einige Kunden gesagt: "Es stimmt doch, dass wir hier zu viele Ausländer haben". Das, was die Zeitung erreichen will, kommt anscheinend bei ihnen an. Die gehen dann nebenan zum Bäcker, aber kriegen die Bild-Zeitung da auch nicht. Das hat schon eine größere Wirkung, als wenn das nur einer alleine macht.
André Krause: Im gepflasterten Teil der Ottenser Hauptstraße gibt es jetzt gar keine Bild-Zeitung mehr. Die erste gibt es erst wieder in dem Kiosk mit türkischen Inhabern am Anfang der Straße. Das ist die Ironie der Geschichte.
Widerspricht Ihr Boykott nicht der Meinungsfreiheit?
Winfried Buck: Das sehe ich nicht so. Es ist ja gerade das Geschickte an der Bild-Zeitung, dass sie ihre Spaltung der Gesellschaft unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit betreibt.
Befürchten Sie finanzielle Einbußen?
André Krause: Ich verliere hier den Umsatz von vielleicht 20 Bildzeitungen und dem einen oder anderen Franzbrötchen am Tag, das sind vielleicht 10 bis 15 Euro. Aber der Werbeeffekt scheint mir langfristig größer zu sein - obwohl das nicht meine Intention war.
Kann Ihr Grossist Sie nicht dazu zwingen, seinen Auflagenrenner zu verkaufen?
Winfried Buck: Der erfährt das ja erst nächsten Mittwoch, wenn er die Zeitungen zurückbekommt. Aber ich kriege ja auch andere Zeitungen, die ich nicht verkaufe, zum Beispiel die Deutsche Nationalzeitung. Da bin ich völlig frei.
Rechnen Sie mit einer publizistischen Gegenoffensive des Springer-Verlages?
André Krause: Da unsere Kunden ja keine Bild-Zeitung lesen, kann er ja kaum publizistisch gegen uns vorgehen. Wäre ja auch relativ blöd von so einem Riesenkonzern, sich mit uns anzulegen. Das wär ja so was wie eine Niederlage.
Wie lange wollen Sie den Boykott durchhalten?
André Krause: Bis an mein Lebensende. Meine Frau und meine Kinder ziehen da voll mit.
Winfried Buck: Solange ich hier drin bin, kommt die Bild-Zeitung hier nicht mehr rein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen