Kino-Film über Regisseur Schlingensief: In den Übermalungen gefangen
Über Christoph Schlingensiefs Talkshowprojekt "Die Piloten" hat die Filmemacherin Cordula Kablitz-Post einen Dokumentarfilm gedreht, der nun in die Kinos kommt.
Man fürchtet den Abschied. Dem Regisseur Christoph Schlingensief geht es nicht gut. Er hat 2008 versucht, in Inszenierungen und in Interviews, seine Krebserkrankung und die Angst vor dem Ende offen zu thematisieren. Dieses Wissen lässt sich nicht wegblenden im Rückblick auf sein Projekt "Die Piloten", das 2007 entstand und von der Regisseurin Cordula Kablitz-Post mit einem Film begleitet wurde. Der Film kommt jetzt in die Kinos. Und zeigt schon in den ersten Bildern einen Christoph Schlingensief, der einen Traum von einem Flugzeugabsturz erzählt. Und wie er im Traum erkannte, sich in sein Schicksal ergeben zu müssen.
Überall diese Zeichen. Sie sind das Berührende an dem Film "Christoph Schlingensief - Die Piloten", aber zugleich auch das Körnchen Intimität und Vorhersehung, das zu viel ist in diesem Porträt eines Künstlers bei der Arbeit. Denn unversehens fühlt man sich als Zuschauer des Films in der Rolle eines Analytikers, vor dem sich der Künstler Christoph Schlingensief, ohne es zu merken, auf die Couch gelegt hat.
Cordula Kablitz-Post kennt Christoph Schlingensief schon lange. Vor zehn Jahren hat sie mit ihm tatsächlich als Regisseurin und Produzentin für "Talk 2000" gearbeitet, damals waren beide noch ohne Fernseherfahrung. Inzwischen hat sie für Arte oft Regie geführt in den Künstlerdoppelporträts "Durch die Nacht mit …". "Christoph Schlingensief - Die Piloten" ist nun ihr erster langer Dokumentarfilm. "Die Piloten" waren ein eigenartiges Vorhaben, eine Art gefakte Talkshow, zu dem Christoph Schlingensief 2007 in die Akademie der Künste in Berlin eingeladen hatte. Sein erklärtes Ziel war, Material zu sammeln, um daran in einem späteren Zusammenschnitt die Effekte der Manipulation vorführen zu können: wie die Präsenz der Kamera das Verhalten konditioniert, Gefühle erzeugt und abgerufen werden. Allein seine Gäste, wie der Chorleiter Gotthilf Fischer, der Fernsehpfarrer Jürgen Fliege, die Journalistin Lea Rosh, die Politikerin Petra Roth, sind einfach zu begeistert von ihm und die Arbeit der Dekonstruktion der öffentlichen Oberflächen fällt Schlingensief schwerer als erwartet. Niemand will sich mit ihm streiten.
Und ihn beschäftigt mehr und mehr, wie man erst aus Telefonaten entnehmen kann, die Cordula Kablitz-Post hinter den Kulissen der Talkshow oder bei ihm zu Hause aufgenommen hat, die schwere Erkrankung seines Vaters. Und er merkt, wie er selbst nicht zurechtkommt mit der Verhältnismäßigkeit von Leben und Darstellen, wie das Festhalten an der Arbeit angesichts dessen, was emotional wichtig wäre, zur Schizophrenie wird.
Es gibt einige lustige Augenblicke in dem Film, deren Witz fast immer auf dem Unterlaufen von Erwartungen beruht. Aber es gibt auch viele Wiederholungen und Strecken, die über vorhersehbare Banalitäten nicht hinausgehen.
"Die Piloten" waren, so wie Schlingensief das Vorhaben selbst noch, während es lief, kommentierte, kein so glücklich verlaufendes Projekt, nicht nur, weil die letzte Folge aus "familiären Gründen" abgesagt werden musste. Sondern auch, weil er merkte, wie die Intention, hinter die ständigen Übermalungen zu schauen, die mit jedem öffentlichen Auftritt vorgenommen werden, lahmte und er stattdessen selbst im System der Übermalungen gefangen war. Eine schmerzhafte Selbsterkenntnis, die zu verfolgen Cordula Kablitz-Post gut ermöglicht.
Dennoch verdoppelt oder kopiert ihr Film Schlingensiefs Projekt auf dubiose Weise. Denn während Schlingensief die Kameras einer TV-Talkshow ja als offensichtliche Instrumente der Inszenierung benutzte, verfolgte sie ernsthafte Filmabsichten und lässt nur ihrerseits Gäste wie Oskar Roehler oder Sido über Schlingensief reden. Und da gewinnen die am meisten, die, wie Sido, offen zugeben, dass sie keinen Sinn in dem Ganzen erkennen können, während die bekennenden Schlingensief-Fans immer ein wenig peinlich kunstreligiös daherkommen.
Eine eigene Erzählung aber lässt der Film vermissen oder auch nur eine Haltung gegenüber den "Piloten". Er klebt am Material der Talkshows, die nie gesendet werden sollten. Er heftet sich an die Fersen des Regisseurs, der die medialen Formate der Selbstdarstellung in Frage stellen will, mit großem Vertrauen in ebendiese Formate. So sind Cordula Kablitz-Posts "Piloten" selbst ein eigenartiger Zwitter zwischen Promigläubigkeit und ihrer Dekonstruktion geworden.
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