piwik no script img

Archiv-Artikel

Kinder brauchen besseren Schutz vor gewalttätigen Eltern Tödlicher Mythos vom Mutterglück

Jede Woche werden in Deutschland drei Kinder von ihren Eltern zu Tode gequält. Dabei kann sich heute jede Frau problemlos gegen Kinder entscheiden, bedürftige Familien erhalten Hilfe vom Staat – wieso also werden so viele Eltern zu Mördern? Wer die Antwort sucht, stößt schnell auf den Mythos des Mutterglücks, der hierzulande viel zu lange hochgehalten wurde: Dieses stellt sich angeblich bereits im Kreißsaal ein und befähigt Frauen zu nie geahnten Höchstleistungen: etwa schlaflose Nächte durchzuhalten. Daraus resultiert die Überzeugung, dass Kinder es am besten haben, wenn sie in den ersten Jahren ganz ihren Eltern überlassen werden.

Die Folge ist bis heute, dass erstens Kleinkinder monatelang unbemerkt misshandelt werden können. Und zweitens, dass überforderte Eltern keine Anlaufstelle haben, an die sie sich ohne viel Aufwand wenden können. In Frage kämen Jugendamt, Kinderarzt oder Familienbetreuungsstellen. Aber wer geht schon freiwillig zum Jugendamt? Und beim Kinderarzt droht stundenlanges Harren in Wartezimmern voll ansteckender Kinder.

Um Kindesmisshandlungen einzudämmen, braucht es daher beides: Zwang und vorsorgende Hilfe. Der Vorschlag, Untersuchungen per Gesetz verbindlich zu machen, ist richtig. Nur so können Kinderärzte und Jugendämter überhaupt merken, wenn Kleinkinder, die noch nicht in den Kindergarten gehen, vernachlässigt werden. Dass auch Eltern, die sich redlich bemühen, dann künftig mit amtlichen Schreiben gegängelt werden, muss als Nebenwirkung in Kauf genommen werden.

Es sollte aber nicht bei der Verpflichtung bleiben, Kinder alle paar Monate zum Arzt zu bringen. Gleichzeitig müssen in den Kommunen, in jedem einzelnen Stadtviertel enge Strukturen geknüpft werden, mit denen Eltern kontinuierlich, informell und zwanglos unterstützt werden. In Großbritannien gibt es solche „Early Excellence Center“, eine Mischung aus Nachbarschaftstreff, Nachhilfeverein und Hebammenladen. Junge Familien werden dort regelmäßig von einer Hebamme oder Krankenschwester besucht, die Erziehungstipps gibt. Das ist im Übrigen auch billiger als ein Arztbesuch bei jeder Kleinigkeit. KATHARINA KOUFEN