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Archiv-Artikel

Kim Jong Elvis

Geliebter Führer, ungeliebter Staat – Einblicke in ein Land, über das sich die Welt im Unklaren ist: Nordkorea. Eine Sammelbesprechung

VON SVEN HANSEN

Reichert Nordkorea, dieses Land, von dem man nur etwas hört, wenn mal wieder eine schwere Krise ansteht, Uran an? Zwei Jahre ist es her, dass die US-Regierung erklärte, Vertreter des nordkoreanischen Regimes hätten dies eingeräumt. Pjöngjang selbst hat seitdem wenig zur Klärung der Frage, ob das Land wirklich Atomwaffen entwickelt, beigetragen. Nordkoreas Strategie scheint zu sein, die Welt im Unklaren zu lassen, sie aber immer wieder an das eigene Potenzial zu erinnern. In einer ganzen Reihe von Büchern kann man inzwischen nachlesen, worum genau es bei dieser Konfrontation geht.

Ebenso knapp wie informativ ist die Studie „Schauplatz Nordkorea. Das Pulverfass im Fernen Osten“ des ARD-Korrespondenten Martin Fritz. Seine These: Nordkorea hat in der Krise um seine Atomprogramme mehr Optionen als die USA, die unter George W. Bush Nordkorea bisher frontal angingen („Achse des Bösen“) und dabei auf die stärksten Seiten des Landes stießen. In seiner lesenswerten Analyse kommt Fritz zu dem Ergebnis, dass die konfrontative Taktik der amerikanischen Konservativen an den Realitäten der Region und denen Nordkoreas vorbeigeht.

Washingtons Versuch, das Regime in Pjöngjang um seine letzten Einnahmequellen (Waffen und Drogen) zu bringen, ist laut Fritz wenig Erfolg versprechend. Ein Regime, das sich freiwillig abkapselt und sich ohnehin im Kriegszustand wähnt, wird sich davon kaum beeindrucken lassen. Realistisch gesehen, hätten die USA in Nordkorea wegen zu erwartender hoher Verluste keine militärische Option. Für Fritz bleiben deshalb nur Verhandlungen, die Nordkoreas Stolz berücksichtigen und einige seiner Forderungen als berechtigt akzeptieren. Seine Analyse, dass Washington sich wird bewegen müssen, um die Krise zu bewältigen, wirkt stichhaltig. Auch trifft zu, dass die Bush-Regierung bisher kein tragfähiges Konzept hat, wie sie das diktatorische Regime von seinen nuklearen Ambitionen abbringen kann. Vielmehr hat Washington diese bisher mit seiner Politik gestärkt.

Fritz zeigt aber auch das Dilemma auf, in dem Nordkoreas Führer steckt. Entscheidet sich Kim Jong Il für eine radikale Umkehr, riskiert er seine eigene Herrschaft. Er darf nicht in Widerspruch zu seinem Vater, dem Staatsgründer Kim Il Sung, geraten, dem er seinen Job verdankt. Denn das würde seine eigene Legitimation infrage stellen. Andererseits blockiert das sture Festhalten an Kim Il Sungs Juche-Ideologie, die auf strikter Selbstständigkeit besteht, grundlegende Reformen.

Wie sieht es eigentlich in dem Land selbst aus? Das von FAZ-Mitarbeiter Christoph Moeskes herausgegebene Buch „Nordkorea. Einblicke in ein rätselhaftes Land“ konzentriert sich auf Reiseberichte. Darin schildern Nothelfer, Journalisten, Künstler, Geschäftsleute, Touristen und Diplomaten erfreulich nüchtern ihre Eindrücke aus Nordkorea, beschreiben ihre Versuche, hinter die Kulissen zu schauen, und wie sie immer wieder scheitern, sich den Menschen wirklich zu nähern. Es gibt Berichte über den Versuch, in Pjöngjang den Führerschein zu machen, mit einer Katze zum Tierarzt zu gehen, über Musikunterricht, skurrile Restaurants und den Aufbau von Internetzugängen.

Häufig sind Äußerungen über den kaum vorhandenen Verkehr auf den breiten Straßen. Immer wieder stoßen sich die Besucher auch an den virtuell anmutenden Kulissen der Hauptstadt. Die Autoren eint, dass sie in den letzten Jahren positive Veränderungen ausmachen konnten. So hätten sich etwa die Bewegungsspielräume für Ausländer vergrößert und die Bevölkerung habe mehr wirtschaftliche Freiheiten. Das Buch zeigt, was Ausländer in Nordkorea sehen können. Es ist wenig, und die Besucher können nicht behaupten, viel verstanden zu haben.

Die Qualität des von Hyondok Choe, Du-Yul Song und Rainer Werning vom in Essen beheimateten Korea-Verband herausgegebenen Sammelbandes „Wohin steuert Nordkorea? Soziale Verhältnisse, Entwicklungstendenzen, Perspektiven“ besteht dagegen darin, Wissenschaftler aus Nord- und Südkorea und den USA zu Wort kommen zu lassen. Beim Koherausgeber Song handelt es sich um den wegen seiner Nordkoreakontakte in Seoul kürzlich zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilten koreanischstämmigen Münsteraner Soziologieprofessor, der bereits neun Monate inhaftiert war. Das Buch dokumentiert die Beiträge einer von Song im Juni 2003 in Berlin mitorganisierten Tagung. Im Anhang werden Erklärungen Nordkoreas ebenso dokumentiert wie die Empfehlungen des 1999 von US-Präsident Bill Clinton in Auftrag gegebenen Perry-Reports, der einen weit pragmatischeren Kurs gegenüber Pjöngjang empfahl, als ihn die Bush-Regierung verfolgt.

Wenig überraschend geben die Wissenschaftler vom nordkoreanischen Institut für Wiedervereinigung allein den USA die Schuld an der Krise, während die eigene Rüstung nur friedenssichernd sei: „Wenn die Demokratische Volksrepublik Korea über keine starke militärische Abschreckungskraft verfügte, wäre es mit Sicherheit bereits zu einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel gekommen.“ Auch brauche man Gegenmittel, da Japan den Aufstieg zur Atommacht forciere; ein auch von China nicht geteiltes Argument. Die verschiedenen Autoren des Buches eint, dass ihrer Meinung nach die Krise nur bewältigt werden kann, wenn die USA das Existenzrecht Nordkoreas und damit implizit auch seines Regimes vertraglich anerkennen. Dazu ist Washington bisher nicht bereit. Das Buch zeigt wertvolle Perspektiven auf, ist aber insgesamt einseitig. So fehlen mehr als die pflichtschuldig äußerst knappen Informationen zu den Menschenrechtsverletzungen.

Die stellt der französische Historiker Pierre Rigoulot in seinem Buch stärker in den Mittelpunkt. Doch „Nordkorea: Steinzeitkommunismus und Atomwaffen – Anatomie einer Krise“ krankt an platten antikommunistischen Rundumschlägen. Rigoulot schrieb bereits im „Schwarzbuch Kommunismus“ über das Nordkorea-Kapitel und kritisiert jetzt im Haupttext von der Nothilfe bis hin zu Südkoreas Sonnenscheinpolitik alles, was nicht zum schnellen Kollaps von Nordkoreas Regime führt. In dem für die deutsche Ausgabe verfassten und wenig durchdachten Kapitel „Pulverfass Nordkorea – Was der Westen tun kann“ empfiehlt er dann jedoch eine Fortsetzung der Nothilfe, sofern sie zielgerichtet erfolgt, und sagt ansonsten, was Nordkorea alles tun sollte. Wie dies erreicht werden kann, schreibt er nicht. Ein ärgerliches Buch.

Besser, aber teilweise ähnlich platt schreibt der US-Journalist Michael Breen in „Kim Jong Il: Nordkoreas Geliebter Führer“. Breen fokussiert den Diktator, räumt jedoch ein, dass dieser in gewisser Hinsicht ein Rätsel bleibt. Das hindert Breen nicht, ihn mal als Herz der Finsternis, mal als einzigen Dicken im Land, als geliebten Sung-Ersatz, als geliebten Schmierer, als geliebten Nachfolger oder als Kim Jong Elvis zu bezeichnen und dann zu fragen: „Ist Kim Jong Il das Böse?“

Breens Hobbypsychologie kommt zu Erkenntnissen wie: „Kims hartnäckiges Festhalten am Atomwaffenprogramm könnte Ausdruck einer negativen Persönlichkeit sein.“ Denn, so Breen: „Wenn der Geliebte Führer in Atomwaffen den Garanten für sein Überleben sieht und wenn er eine negative Persönlichkeit ist, wird er mit Klauen und Zähnen an ihnen festhalten und nicht nachgeben, bis man ihn aus seinem Bunker herausbombardiert. Wenn er jedoch von positivem Charakter ist, wird er nach einer anderen Art des Überlebens suchen und dabei Flexibilität an den Tag lagen.“ Beruhigenderweise bewertet Breen Kim Jong Il letztlich als „aktiv-positiven Charakter“, der moralisch nicht mehr verdorben sei als ein durchschnittlicher westlicher Geschäftsmann, der nach Asien reist. Dann zollt er Nordkorea sogar Respekt dafür, dass es mit dem Atomprogramm Stärke aus der eigenen Schwäche zieht, und empfiehlt der US-Politik einen Nichtangriffspakt und die Unterstützung der südkoreanischen Sonnenscheinpolitik. Doch einen wirklichen Wandel könne es nur ohne Kim geben, so Breen.

Michael Breen: Kim Jong-Il: „Nordkoreas ‚Geliebter Führer‘ “. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2004, 242 Seiten, 24,90 Euro Hyondok Choe/Du-Yul Song/Rainer Werning (Hg.): „Wohin steuert Nordkorea? Soziale Verhältnisse. Entwicklungstendenzen. Perspektiven“. PappyRossa, Köln 2004, 164 S., 15 Euro Martin Fritz: „Schauplatz Nordkorea: Pulverfass im Fernen Osten“. Herder Spektrum, Freiburg 2004, 162 Seiten, 8,90 Euro Christoph Moeskes (Hg.): „Nordkorea. Einblicke in ein rätselhaftes Land“. Ch. Link Verlag, Berlin 2004, 242 Seiten, 15,90 Euro Pierre Rigoulot: „Nordkorea. Steinzeitkommunismus und Atomwaffen – Anatomie einer Krise“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, 122 Seiten, 6,90 Euro