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Archiv-Artikel

Kies nicht wie Sand im Meer

Rohstoffabbau in potenziellen EU-Schutzgebieten westlich von Sylt beantragt. Umweltschützer warnen: Bodenlebensgemeinschaften würden auf Jahre hinaus zerstört. Der geschützte Schweinswal hätte nichts mehr zu fressen

von GERNOT KNÖDLER

In der Nordsee wird es eng: Zwischen Schifffahrtsstraßen, Offshore-Windkraftanlagen, militärischen Übungsgebieten und Rohstoffabbau-Feldern haben es die Bewohner des Meeres immer schwerer, sich zu behaupten. Jetzt will die Firma OAM Deme Mineralien in potenziellen EU-Naturschutzgebieten 40 Kilometer westlich von Sylt Sand und Kies abbauen. Umweltschützer halten das für absurd. Die vorgelegte Umweltverträglichkeitsstudie sei „unter aller Kanone“, schimpft Onno Gross von der Umweltinitiative Deepwave. Derzeit läuft ein Planfeststellungsverfahren, bei dem zwischen den Interessen des Bergbaus und des Naturschutzes abgewogen wird.

OAM Deme hat beim Oberbergamt in Claustahl-Zellerfeld die Genehmigung beantragt, auf zwei 85 und 100 Quadratkilometer großen Feldern Sand und Kies abbauen zu dürfen. Dabei würde sie eine bis zu 2,60 Meter dicke Schicht des Meeresbodens mit den darin lebenden Pflanzen und Tieren absaugen – bis zu einer Million Kubikmeter im Jahr. Um diese Menge zu transportieren, wäre eine Sattelschlepper-Schlange von Hamburg nach München und zurück nötig, hat Gross ausgerechnet.

Für Karl Bätjer von OAM geht es um die „langfristige Versorgung mit Sand“. Während Gross auf die schwächelnden Preise für den Rohstoff verweist, die sich auf dem Niveau der 80er Jahre bewegten, verweist Bätjer auf den Bedarf der Bauindustrie: Um einen Kubikmeter Beton herzustellen, seien eine Tonne Sand und eine Tonne Kies nötig.

Diese Mengen ließen sich auch an Land gewinnen, findet Gross. In den vergangenen Jahren seien neue Kiesfelder, etwa in Mecklenburg-Vorpommern entdeckt worden. Stattdessen die seltenen Kiesbänke auf dem Grund der Nordsee anzugreifen, hält er für falsch, denn das würde die ohnehin schon stark beeinträchtigte Nordsee als Lebensraum auf vielfältige Weise schädigen. „Man zerstört die Bodenlebensgemeinschaften auf Jahre hinaus“, warnt Gross.

In Kiessanden leben nach Auskunft von Gross Trogmuscheln, Seeigel, Borstenwürmer, Lanzetttierchen und Sandaale, die dem gefährdeten Schweinswal als Nahrung dienen. Über die aus der Eiszeit stammenden Kiesbänke verstreut liegen Findlinge, die weiteren Arten als Trittsteine für ihre Verbreitung und den Austausch von Genen dienen: Seescheiden, Moos- und Nesseltierchen, Seenelken sowie die Rote-Liste-Arten Tote Manneshand und Essbarer Seeigel.

„Der Kies am Meeresboden wirkt wie eine Kläranlage für belastetes Wasser“, sagt Gisbert Jäger von der Umweltgruppe Hohe Tied. „Wollten wir diese Reinigungswirkung mit Maschinen erzielen, müssten wir jährlich 500 Millionen Euro aufwenden“, rechnet er vor.

Bätjer verweist darauf, dass es seine Firma gewohnt sei, unter Umweltschutzauflagen zu arbeiten: „Wir sind ja nicht das erste Mal beim Baggern.“ Für den Küstenschutz werde aus küstennahen Meeresgebieten Kies entnommen, ohne auf das Ökosystem Rücksicht zu nehmen. Da sei es doch besser, das an wenigen Stellen unter Überwachung zu tun.

Im übrigen gehe es OAM in erster Linie um Kies, „ungefähr so groß wie eine Walnuss“. Sandaale lebten hier nicht. „Es heißt ja nicht Kiesaal.“ Allerdings, räumt Bätjer ein, werde man auch Sand abbauen. Das sei aber nicht von Belang, weil der Nordseeboden vor allem aus Sand bestehe.