Kennzeichnungspflicht: Polizisten sollen Individuen sein
Mit der Einführung der neuen blauen Uniformen will Polizeipräsident Glietsch, dass alle Polizisten künftig ihren Namen auf der Brust tragen. Gutachter spricht sich gegen die Kennzeichnungspflicht aus.
Berlins Polizisten sollen dem Bürger künftig mit ihrem Namen am Revers gegenübertreten. "Ich wünsche mir, dass jeder seinen Namen offen an der Uniform trägt, nicht angehängt, sondern aufgenäht", sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch der taz. Er glaube, "dass es für alle Beteiligten einen positiven Effekt hätte, wenn wir uns als offene und bürgernahe Polizei ohne falsche Ängste präsentieren würden".
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte erst vor zwei Wochen erklärt, dass Berlins Polizisten vom Jahr 2010 an blaue Uniformen erhalten werden. Die Mehrzahl der Bundesländer hat sich bereits für blaue Polizeiuniformen entschieden. Als Erstes hatte Hamburg 2004 Beige-Grün eingemottet. In Brandenburg gehen derzeit in fünf Landkreisen Polizisten in Blau auf Streife. Diesem Trend will sich der Innensenator anschließen. Wegen der Kosten werde es wohl aber keinen kompletten Kleiderwechsel auf einen Schlag geben.
Diesen Kleidertausch will der Polizeipräsident nun für seine Kennzeichnungsoffensive nutzen. "Dies soll für alle Polizeibeamten gelten, die nicht verdeckt, nicht in Zivil und nicht in Spezialeinheiten eingesetzt sind", sagte Glietsch. "Nicht nur am Einsatzanzug, sondern selbstverständlich an jeder Uniform." Damit würden erstmals auch die Beamten der Einsatzhundertschaften für ihr Gegenüber identifizierbar. Bisher haben je rund zehn Beamte eines Zuges die gleiche Rückennummer.
Polizeikritiker fordern seit Jahren die individuelle Kennzeichnungspflicht, damit Polizisten bei möglichen Übergriffen leichter identifiziert werden können. Dagegen hat es polizeiintern heftigen Widerstand gegeben. "Es ist bekannt, dass sich die Einsatzeinheiten in der Vergangenheit stärker dem nach Überzeugung der Beamten falschen Vorwurf ausgesetzt sahen, sie seien Knüppelgarden. Das hat möglicherweise auch dazu geführt, dass man hier ein sehr hohes Schutzbedürfnis hat", sagte Glietsch.
Zur Klärung der Sachlage hatte er im Frühjahr einen Rechtsprofessor damit beauftragt, bei rund 150 Fällen zu prüfen, ob Ermittlungen gegen Polizeibeamte am Fehlen der Kennzeichnung gescheitert seien. Das soll laut dem nun vorliegenden Gutachten nicht der Fall sein. "Die Untersuchung bestätigt in keiner Weise die Vermutung, dass eine individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamten die Ermittlungsarbeit der Strafverfolgungsorgane wesentlich erleichtern würde", zitiert Glietsch aus dem Bericht des Juristen. Er sehe daher kein neues Argument für die Kennzeichnung mit Nummern.
Bei seinem neuen Vorstoß geht es dem Polizeipräsidenten auch "nicht vorrangig darum, dass Straftäter in der Polizei ermittelt werden können". Im Vordergrund stehe vielmehr die Frage: "Welche Vorstellung habe ich von einer bürgernahen Polizei?"
Zwar geht Glietsch davon aus, viele seiner Mitarbeiter vom positiven Effekt des Namensschildes überzeugen zu können. Das müsste er auch, schon weil die Einführung einer solchen Uniform mitbestimmungspflichtig wäre. Aber der Polizeipräsident weiß auch, dass unter den Beamten die Vorstellung ausgeprägt ist, es sei gefährlich, seinen Namen zu nennen. Viel Zeit bleibt Glietsch für die Umsetzung seiner Reform nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der heute 61-Jährige 2011 in Pension gehen. Dennoch glaubt er an einen Erfolg: "Ich bin nicht derjenige, der sich damit abgefunden hat, dass man nicht jede gute Absicht realisieren kann."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland