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Keiner reißt sich um den Schleudersitz

■ Nach Hackmanns Rücktritt: Parlament will aufklären / Voscherau sondiert

Nachfolge-Spekulationen, Respektsbekundungen, Versprechungen, jetzt entschlossen gegen Neonazismus und Rassismus in der Polizei vorzugehen, Sondersitzungen. Innensenator Hackmanns Rücktritt holte Hamburgs Politiker, Journalisten und Verbandsvertreter recht plötzlich aus dem Hamburger Nachsommerloch.

Die Frage aller Fragen: Wer setzt sich auf den freigewordenen Schleudersitz am Johanniswall, von dem sich Hackmann schon im vergangenen Herbst so gern gelöst hätte? Freiwillige haben sich damals wie heute nicht gemeldet. Senatschef Voscherau, ausgestattet mit dem bürgermeisterlichen Vorschlagsrecht, ließ ausrichten, daß er noch sondiere, daß er aber bestrebt sei, den Posten möglichst zügig zu vergeben. Trotz des „Schocks“, den ihm der Rücktritt versetzt hatte.

Mangels anderer Spekulations-Kandidaten kursierte gestern im Rathaus der Name desjenigen Hamburger Senators, der immer genannt wird, wenn es um Krisenmanagement geht: Thomas Mirow, derzeit Stadtentwicklungssenator und – quasi nebenbei – oberster Polit-Strippenzieher der SPD. Ebenfalls auf der Phantom-Liste potentieller Nachfolger: Fraktionschef Günter Elste und der Vorsitzende des Innenausschusses der Bürgerschaft, Holger Christier.

Alle drei wollten sich gestern keineswegs aufdrängen, Christier und Elste übten sich auf einer Pressekonferenz der SPD-Fraktion schon mal in starken Worten: „Keimzellen für Neonazismus und Rassismus dürfen in der Polizei nicht geduldet werden. Sie müssen ohne Wenn und Aber mit Stumpf und Stil ausgeräumt werden.“ Mittel zu diesem Zweck seien neben den dienst- und strafrechtlichen Ermittlungen gegen die beschuldigten Beamten eine „institutionelle, organisatorisch und personelle“ Neustrukturierung der Polizei. Erste Aufschlüsse über Mängel und Handlungsbedarf im Polizeiapparat soll eine Sondersitzung des Innenausschusses am Donnerstag geben.

Darüber hinaus will auch die SPD die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Polizei-Skandal beantragen. Sie schloß sich damit der Forderung der Oppositionsfraktionen CDU und GAL an, die beide eine „rückhaltlose Aufklärung“ der Polizei-Übergriffe fordern. „Rechtsextreme Tendenzen innerhalb der Polizei,“ so GAL-Sprecher Manfred Mahr, „müssen endlich aus der Tabuzone befreit und offen erörtert werden“.

Auch für CDU-Fraktionschef Ole von Beust legt Hackmanns resignativer Rückzug den Verdacht nah, daß es sich bei den bisher bekannt gewordenen Fällen „nur um die Spitze des Eisbergs“ handele.

Während CDU und GAL „Respekt“ vor Hackmanns Entscheidung bekundeten, setzte es von der Gewerkschaft der Polizei heftigste Kritik. Mit seinen „unverantwortlichen und nebulösen Äußerungen“ bringe „der Innensenator, der immerhin sechs Jahre lang ihr oberster Dienstherr war, die Hamburger Polizei in die Nähe einer kriminellen Vereinigung“. uex

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