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Keine leichtgewichtigen Hobbygremien

■ Oberverwaltungsgericht: Die Ortsbeiräte haben Recht auf Akteneinsicht

„Das ist eine schallende Ohrfeige für die Stadt Bremen“, jubelte Viertel-Bürgermeister Robert Bücking gestern kurz nach der Urteilsverkündung. In zweiter Instanz hat das Oberverwaltungsgericht Bremen dem Beirat Mitte recht gegeben: Beim Verkauf des Deutschen Hauses am Markt 1992 hätte die Stadt dem Beirat Einsicht in die gesamte Akte über die Verkaufsverhandlungen gewähren müssen.

Das wollten Finanzsenator Kröning und Innensenator van Nispen seinerzeit aber auf keinen Fall. Das Sahnestück am Markt sollte verkauft werden. Der Beirat wurde mündlich auf mehreren Sitzungen von der Behörde über die Verkaufsverhandlungen informiert. Die Fragen der Kommunalpolitiker wurden schriftlich beantwortet – das mußte reichen. Doch die Beiratsmitglieder wollten sich damit nicht zufriedengeben. Mit dem Hinweis auf Paragraph 30 des Beiräte-Gesetzes verlangten sie Akteneinsicht.

Dort wird den Beiräten das Recht auf Akteneinsicht garantiert, es sei denn, gesetzliche Vorschriften oder zwingende Gründe sprechen dagegen. „Der Martinshof sollte angeblich aus betriebswirtschaftlichen Gründen aus dem Haus verschwinden. Das kam uns komisch vor, deshalb wollten die Beiratsmitglieder auf die Akteneinsicht nicht verzichten“, erinnert sich Robert Bücking. Die Mitarbeiter der Behörde schüttelten energisch den Kopf. Es könnten nur die Akten eingesehen werden, die die Behörde an das Ortsamt weitergibt. Wenn die Akten dort nicht liegen, gibt es auch keine Akteneinsicht. Punkt um.

Das wollten sich die Beiratsmitglieder nicht gefallen lassen: Sie fühlten „sich ausgebootet“ und verweigerten jede Stellungnahme zu dem geplanten Verkauf des Deutschen Hauses. Im März 1992 beschlossen die Kommunalpolitiker zu klagen. Das versuchte van Nispen mit einer Rüge an die Adresse des Beirats zu verhindern. Die Schelte kam zu spät, die Frist war verstrichen. Die Beiratsmitglieder zogen vor das Verwaltungsgericht und wurden abgeschmettert. Die Behörde hätte recht, argumentierten die Richter. Nur Akten, die die Stadt ans Ortsamt weiterleitet, könnten dort vom Beirat eingesehen werden. Wenn die Behörde bestimmte Akten nicht an das Ortsamt weiterleitet, können die Papiere eben nicht eingesehen werden.

„Die Stadt kann dann nach Belieben entscheiden, welche Akten sie rausrückt, und die Beiräte werden ausgepunktet“, argumentierte Rechtsanwalt Dr. Waldemar Klischies heute vor dem Oberverwaltungsgericht. Es ginge nicht darum, daß Beiräte jederzeit alle Akten einsehen könnten, betonte Klischies. Wenn gesetzliche Vorschriften oder zwingende Gründe dagegen stünden, würden die Beiräte selbstverständlich auf die Akteneinsicht verzichten. „Meine Phantasie reicht allerdings nicht aus, um so einen Fall zu konstruieren“, schränkte Klischies ein. „Außerdem soll die Behörde ihre Ablehnung begründen“, forderte er.

Das gefiel dem Anwalt der Stadt ganz und gar nicht. „Auf diese Weise bekommt der Beirat eine Totalkontrolle über die Verwaltung, und das soll nicht sein.“ Außerdem seien die Beiratsmitglieder seinerzeit „in dem erforderlichen Maße“ informiert worden. Die drei Richter und zwei Schöffen sahen das offenbar anders und gaben den Beiratsmitgliedern recht. Die Stadt sei seinerzeit verpflichtet gewesen, dem Beirat Einsicht in die gesamte Akte zu gewähren, urteilten sie.

Das Haus am Markt ist mittlerweile für 2,3 Millionen Mark an die Nordwest-Vermögen, einer Tochtergesellschaft der Bremer Landesbank, verkauft worden – ohne die Stellungnahme der Beiratsmitglieder. Der Martinshof-Laden konnte bleiben. „Ein sicheres Zeichen dafür, daß wir damals allen Grund hatten, den betriebswirtschaftlichen Untersuchungen zu mißtrauen“, sagt Ortsamtsleiter Bücking. Daß er von der ihm jetzt zugestandenen Akteneinsicht keinen Gebrauch mehr machen kann, stört ihn nicht. „Das Urteil hat Signalwirkung“, freut sich der Viertel-Bürgermeister. „Wenn die Behörde recht bekommen hätte, wären die Beiräte zu leichtgewichtigen Hobbygremien degradiert worden. Damit hätte man ein wichtiges Stück kommunaler Bürgerbeteiligung kaputt gemacht. Durch das Urteil sind die Beiräte aufgewertet worden.“ kes

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