Keine Weltanschauungs-Werbung auf Bussen: Gott muss wieder zu Fuß gehen
Ausgerechnet kurz vor Ostern verbannen die Berliner Verkehrsbetriebe Werbung für Weltanschauungen aller Art von ihren Fahrzeugen und Bahnhöfen.
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) legen sich eine Werbebeschränkung auf: "Wir lassen in Zukunft keinerlei religiöse oder sonstige weltanschauliche Werbung mehr zu", sagte die BVG-Sprecherin Petra Reetz am Mittwoch der taz. Grund dafür seien die Debatten der vergangenen Monate. "Mit der Medienresonanz und auch der großen Aufregung in der Politik hatten wir nicht gerechnet", so Reetz. Das Unternehmen sei teilweise "blauäugig" gewesen.
Die BVG hatte zuerst den Initiatoren des Volksbegehrens "Pro Reli", die sich für eine Stärkung des Religionsunterrichts einsetzen, das Sammeln von Unterschriften in der U-Bahn erlaubt. Später hatte die BVG eine atheistische Werbekampagne abgelehnt: Eine Initiative hatte über einen Spendenaufruf im Internet ca. 30.000 Euro gesammelt, um auf Bussen mit dem Slogan "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott" zu werben. Die BVG wollte das auf ihren Bussen nicht haben, weil der Spruch gläubige Kunden aufregen könnte. Gleichzeitig konnten aber Kirchen und christliche Missionswerke für Gott werben. Kritiker warfen dem Unternehmen vor, das Christentum zu bevorzugen und mit zweierlei Maß zu messen.
Als Ausgleich dafür, dass die Befürworter von "Pro Reli" in U-Bahnen warben, dürfen in den gut zwei Wochen bis zur Abstimmung auch die Gegner dort Infomaterial verteilen. Mit bezahlter Werbung ist dagegen schon jetzt Schluss: "Wir haben die Wall AG, die die Flächen vermarktet, angewiesen, keine weltanschauliche Werbung irgendeiner Art mehr anzunehmen", so Reetz. Derzeit sei keine solche Werbung geschaltet. Das Unternehmen habe damit sowieso nicht viel Geld eingenommen. Die BVG habe zudem ihre Mitarbeiter angewiesen, auch alte Gotteswerbung, die noch in Infokästen hängt, zu entfernen.
Mit der Entscheidung will das Unternehmen eine Wiederholung der Debatten vermeiden. Die BVG sei damit überfordert, in jedem Einzelfall darüber zu bestimmen, was noch geht und was nicht. "Wir sind ja keine Zensurbehörde", sagte Reetz. "Wir können nicht entscheiden, wer die richtige oder die falsche Ansicht hat - da würde immer der Vorwurf kommen, parteiisch zu sein." Also wird jetzt jede weltanschauliche Werbung ganz unparteiisch einheitlich abgelehnt.
Die Entscheidung ist im Vorstand der BVG gefallen. Das Unternehmen gehört zwar dem Land, der Senat wollte sich jedoch offiziell nicht einmischen: "Der Senat hat nicht die Absicht, die Vergabe von Werbeflächen zu seiner Aufgabe zu machen", hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Ende März im taz-Interview gesagt.
Aber was ist mit Esoterik-Angeboten? Was ist mit dem Friseur, der die Haare passend zur Mondphase schneidet? Was ist mit der Werbung für Heilsteine, Bachblüten und Wahrsagerei? "Solche Produktwerbung mit Verkaufscharakter ist weiterhin erlaubt", sagte die BVG-Sprecherin. In einer Konsumgesellschaft seien die Verbraucher gewohnt, mit allerlei nicht überprüfbaren Werbeaussagen konfrontiert zu werden. Die Verkehrsbetriebe werden also keine Waschmittelwerbung verbannen, nur weil darin behauptet wird, dass die Wäsche dank einer neuen Formel nicht nur sauber, sondern auch noch rein wird. Reetz: "Wir wollen ja die Kirche mal im Dorf lassen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung