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Archiv-Artikel

Keine Lex Friedman

Heute soll im Bundestag ein neues Gesetz gegen Menschenhandel beschlossen werden. Dagegen ließe sich aber auch ohne ein schärferes Strafrecht effektiver vorgehen

Die CDU will den Skandal um versklavte Frauen über die Nachfrage regeln: die Freier bestrafen

Erinnert sich noch jemand an den Fall Friedman? Bei dem Prozess gegen den prominenten Fernseh-Moderator ging es ja nicht nur um das Kokain, das er mit Prostituierten im Hotelzimmer geschnupft haben soll. Damals kam auch eine kleine Debatte über den Handel mit osteuropäischen Prostituierten in Gang. Wie viele solcher Frauen, die wie Ware bestellt und geliefert werden, gibt es in Deutschland eigentlich? Wie viele machen das freiwillig mit? Und hätte Herr Friedman nicht ahnen können, dass die Frauen keine selbstständigen Unternehmerinnen sind?

Heute wird im Bundestag nun ein neues Gesetz gegen Menschenhandel verabschiedet. Doch es ist keine Lex Friedman: Die Bundesregierung setzt lediglich um, wozu UN und EU sie verpflichtet haben. Sie hat dazu einige Strafvorschriften umformuliert und setzt die internationalen Vorgaben sogar drei Monate zu spät um. Außerdem wurden die Vorschriften nicht immer verschärft. Dass der Täter die Zwangslage seines Opfers nicht mehr kennen muss, wenn er sie ausnutzt, ist zwar eine Strafverschärfung. Allerdings ist das eine Formulierung, die bereits früher, vor 1992, galt.

Neu ist, dass es in dem Gesetz nicht mehr nur um Prostitution geht: Es geht um fast alle Arten der Ausbeutung. Männer, die sich in Thailand eine Frau kaufen, könnten bald also wegen Heiratshandels dran sein. Auch die unfreiwillige „Vermarktung“ von Frauen in Pornos oder Peepshows ist nun strafbar. Und selbst wer nur ihre Arbeitskraft ausbeutet, kann jetzt vor Gericht kommen: Gemeint sind die Fälle, in denen jemand Illegale für sich putzen lässt und sie nur damit entlohnt, dass er sie nicht an die Behörden verrät. Die Verschärfung der Gesetze besteht allerdings hauptsächlich in der Wortwahl. Vorher verwandte man statt „Menschenhandel“ eher schlichte Begriffe wie „Nötigung“ oder „Erpressung“.

Doch das ist nicht das eigentliche Problem. Schwerer wiegt, dass mit diesem neuen Gesetz das Thema bald abgehakt sein wird. Auf 140.000 schätzten die Menschenrechtsorganisationen im vergangenen Jahr die Zahl der Frauen, die gegen ihren Willen in Deutschland als Prostituierte arbeiten; nur 431 Ermittlungsverfahren zählte das Amt im selben Jahr. Die Hauptstadt Berlin gilt als zentraler Umschlagplatz für einen guten Teil von – grob geschätzt – 500.000 Prostituierten, die auf andere EU-Länder verteilt und verschoben werden. Sechs zuständige Staatsanwälte scheinen der Stadt aber eine ausreichend scharfe Waffe dagegen. Die Verfolgung dieses „erschütternden“ (Brigitte Zypries, SPD) und „weltweit profitabelsten“ (Ute Granold, CDU) Verbrechens genießt offenbar keine besonders hohe Priorität.

Die CDU kam im Zuge der Friedman-Affäre auf die Idee, auch die Freier zu bestrafen, die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen, obwohl sie wissen – oder zumindest wissen könnten –, dass die Frauen dies nicht freiwillig tun. Sie will den Skandal um versklavte Frauen also über die Nachfrage regeln: Das passt ins wirtschaftsliberale Konzept und ist trotzdem sensationell. Sie begründet den Vorschlag nämlich damit, dass der Kreis der skrupellosen Freier „weit in das gutbürgerliche Milieu“ hineinreicht – bis in die eigene Wählerschaft also.

Dass Wählerstimmen verloren gehen könnten, scheint den Initiatoren von der CDU, Ute Granold und Siegfried Kauder, aber egal zu sein. Seit sie die Verhältnisse auf dem Straßenstrich an der deutsch-tschechischen Grenze besichtigt haben, lassen sie sich nicht mehr beirren. Sie hoffen auf einen erzieherischen Effekt auf die Freier. Das könnte den betroffenen Frauen tatsächlich helfen. Deswegen will auch Rot-Grün den Vorschlag noch überdenken, auch wenn er im neuen Gesetz erst mal nicht auftaucht.

Der Haken an der Idee ist bloß: Entweder hätte die Polizei gut zu tun angesichts von geschätzten 1,2 Millionen deutschen Freiern, die täglich eine der ungefähr 140.000 unfreiwilligen Prostituierten aufsuchen (und wer weiß, ob es jeden Tag dieselben 1,2 Millionen Männer sind). Oder aber man müsste darauf vertrauen, dass von einigen wenigen gefassten Missetätern eine Signalwirkung ausgeht.

Allerdings konnte man im Fall Friedman beobachten, wie es ist, wenn eine ganze Nation am prominenten Einzelfall die Laster von Millionen durchexerziert: Die Debatte hatte etwas Bigottes. Es würde nicht fairer, wenn der öffentliche Büßer stellvertretend für anderen auch noch ins Gefängnis müsste.

Praktisch umgesetzt, dürfte die CDU-Initiative schließlich auch sehr teuer sein, weil Ermittlungen und Gefängnisse eben kosten. Doch auch die CDU ist auf Sparkurs, wie die sächsische Landesregierung am Beispiel von „Karo“ bewiesen hat. Diese Organisation setzt sich gegen den Frauen- und Kinderhandel an der deutsch-tschechischen Grenze ein. Demnächst muss sie dichtmachen, weil die sächsische CDU-Regierung sie für überflüssig hält.

Dabei ginge ein effektives Vorgehen gegen Menschenhandel auch ganz ohne das Strafrecht, auf das sich UN, EU und alle deutschen Parteien einigen können. Denn Kriminelle können in Deutschland nur deshalb so gut und so gewinnbringend mit Menschen handeln, sie zu Prostitution oder in die Sklaverei zwingen, weil ihnen das deutsche Ausländerrecht dafür die Möglichkeit bietet. Die meisten Opfer leben illegal in Deutschland: Sie sind entweder bereits illegal eingereist oder haben sich, wenn sie aus einem Nachbarland kommen, nach drei Monaten strafbar gemacht. Paragraf 92 des Ausländergesetzes aber verbietet den Aufenthalt ohne Genehmigung und droht dagegen mit bis zu einem Jahr Haft.

Neu ist, dass es im Gesetz nicht mehr nur um Prostitution geht, sondern um alle Arten der Ausbeutung

Vor Polizei und Festnahme haben viele betroffene Frauen deshalb besondere Angst. Lieber fügen sie sich dem Zwang von Zuhältern und Menschenhändlern – und arbeiten ohne die Möglichkeit, Freier oder bestimmte Sexualpraktiken abzulehnen, immer einsatzbereit und meist bestenfalls für ein Viertel des Geldes, das die Freier bezahlen.

Das neue Gesetz soll den Ermittlern jetzt zwar ermöglichen, Frauen nicht mehr nach dem Ausländerrecht zu verfolgen, wenn diese zu einer Aussage bereit sind. Doch das allein wird nicht reichen. Wichtiger wäre ein neues Ausländerrecht. Ein solches Zuwanderungsgesetz müsste den Frauen erlauben, sich legal als Prostituierte in Deutschland selbstständig machen zu können. Dann könnten sie ihren Verdienst ganz für sich behalten, die Gewinne der Menschenhändler würden schrumpfen. Würden sie darüber auch aufgeklärt (am besten schon in ihren Heimatländern), dann hätten die Täter es schwerer, sie zu irgendetwas zu zwingen und abzukassieren.

Das neue Zuwanderungsgesetz, das demnächst in Kraft treten soll, fordert von potenziellen Einwanderern aber, dass sie als Vorleistung rund 1.000.000 Euro investieren und zehn neue Arbeitsplätze schaffen müssen, um sich legal in Deutschland niederzulassen. Die Chancen, dass damit ausländischen Prostituierten geholfen wird, sind gering. MAREKE ADEN