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Keine Furcht vor DiktatorenDer Irre vom Dienst

Der Wahnsinn hat Methode: Warum wir Diktatoren zu Kranken erklären müssen. Und welche Rolle Elefanten und Onkel aus dem Westen dabei spielen.

Die waren einmal: Muammar al-Gaddafi und Chávez Bild: dpa

Man stelle sich vor, in einer Talkshow sitzen Hugo Chávez, Saddam Hussein, Osama Bin Laden und Kim Jong Il mit seiner Punkfrisur und der Pornobrille. Als Moderator teufelt Klaus Kinski auf sie ein. Das Fernseh-Ereignis der Spitzenklasse findet im großen Zelt von Muammar al-Gaddafi statt. Der Überraschungsgast des Abends ist Helmut Kohl.

Doch schließlich, als Krönung des TV-Ereignisses mit den höchsten Einschaltquoten seit dem Genickbruch in „Wetten dass..?“, rollt auf einer riesigen Spielzeug-Rakete Kim Jong Un herein, sucht mit seinem legendären Fernglas, bis er seinen Vater sieht und winkt, es kommt zu einer sehr unerwarteten koreanischen Wiedervereinigung.

Diese Sendung wird es in unserer Welt nicht geben. Aus welcher aber kommen eigentlich die Diktatoren? Wie ist ihr uns so deutlich sichtbarer Wahnsinn zu erklären? Ob nun bei Fidel Castro mit seinen sechsstündigen Reden oder bei Mahmud Ahmadinedschad mit seinen Drohungen, Israel auszulöschen – es kann doch nicht anders sein, als dass diese Leute nicht alle Gurken im Glas haben. Wie können Geistesgestörte an die Spitze von Staaten kommen?

Eine originelle Erklärung hatte ein Onkel von mir. Als noch DDR war, hatte der Wahnsinn der dort Herrschenden sich ein undurchdringliches Mäntelchen aus Langeweile übergeworfen. Die Zeitungen, die Parteitagsbeschlüsse, die Magazine, das Fernsehen, überall wurde ein öder Brei aus Phrasen abgesondert, mit dem Ziel, die Bevölkerung einzuschläfern.

Die Irren sind mitten unter uns

So hing die ganze Familie an den Lippen des Onkels aus dem Westen, wenn er zu Besuch kam, er hatte beruflich als Auslandsredakteur beim Fernsehen einen unfassbar tiefen Einblick in das Weltgeschehen. Hitler oder der afrikanische Diktator Bokassa, der seine Gegner aufaß (nach seiner Flucht fand man noch einen Mathematik-Professor in seiner Tiefkühltruhe) – der Onkel erklärte es uns biologisch. Und führte Elefanten an.

Wenn bei denen ein Tier wahnsinnig werde, zum Beispiel durch einen Hirntumor, und sich irrational verhalte, dann sei das für die Herde nicht einzuordnen. Sie würde dann automatisch ausgerechnet dieses Tier als Leittier anerkennen. Und das führe sie dann, krankheitsbedingt, prompt ins Verderben. Vielleicht sei das die Erklärung für die berüchtigten Elefantenfriedhöfe? Jedenfalls sei es bei Menschen genauso, so mein Onkel, ausgerechnet Geisteskranke würden, da ihr Benehmen so unerklärlich sei, dass die Menschen es als Erleuchtung interpretieren, zu Führern erkoren.

Ich fand diese Theorie 1985 sehr einleuchtend. Aber Belege dafür konnte ich, als ich später nachforschte, nicht finden. Wie so oft ergeben manche Darlegungen einen überraschenden Sinn, aber die Welt ist nicht immer einfach, sondern meist komplex und wenig eindeutig. Die Wahrheit ist prosaischer, und so beruhigend es für uns ist, Hitler als geisteskrank zu sehen, in Wirklichkeit war er kerngesund, er war nicht einmal Alkoholiker. Sein Antisemitismus war nicht stärker ausgeprägt als bei den meisten Österreichern seiner Zeit.

Es hätte die Deutschen und vielleicht auch manch andere Landsleute entlastet, ihn als pathologischen Fall zu sehen. So wäre Deutschland Opfer eines Wahnsinnigen geworden und nicht etwa verantwortlich für die Verbrechen. So viele Irre haben uns in der jüngeren Vergangenheit verlassen: Hussein, Gaddafi, Bin Laden, Kim Jong Il und Chávez. Aber sie waren, aus medizinischer Sicht, so wenig wahnsinnig wie Hitler oder Stalin. Der aktuelle Irre vom Dienst ist Kim Jong Un.

Wenn jemand geisteskrank ist, dann ist es nicht mehr nötig, sich mit seinem Weltbild auseinanderzusetzen. Und wenn er nicht in die Schublade passt, dann machen wir ihn uns passend. So produzieren wir uns am liebsten Trios des Wahnsinns, das waren zum Beispiel Hitler, Stalin und Mao oder in jüngster Zeit Chávez, Ahmadineschad und Castro.

Aber egal wie viele Zeitungen, Magazine und Internetseiten Kim Jong Un mit rotem Knopf, irrem Blick, Atompilz oder anderen Insignien des Wahnsinns zeigen, er unterscheidet sich von uns nur minimal. Genau das ist das Gefährlichste und Unheimlichste an ihm und all den gefährlichen Irren in der Politik.

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14 Kommentare

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  • O
    ostzone

    ja es kann jede/n treffen, deshalb gibts ja auch kein letztes gefecht oder letzte schlacht. nur ein permanentes schlachten, willkommen auf baumschiff primatus.

  • J
    Julia

    Hitler mit Chavez zu vergleichen, da bin ich sprachlos. Das war ein Artikel zu viel, den ich in der Taz als ungut empfunden habe, das war es mit meinem Abo, schade!

  • S
    Schroedingers

    >>Der Irre vom Dienst

  • M
    Marko

    Auto-Korrektur:

     

    Hitler mit Chavez zu vergleichen, enthält den Tatbestand--> "Verharmlosung des Holocaustes". Es ist mir nicht bekannt und bewusst, dass dieser Herr Menschen einer anderen konfessionellen Überzeugung, Rasse, .. etc. systematisch ermorden liess.(abgesehen von den über 20 Millionen Ermordeten Menschen alleine in der Sowjetunion) die es ohne den pathologisch kranken Raubzug des damalien Deutschlands nicht gegeben hätte.

    In einem Land wo einer der grössten Flughäfen den Namen eines ebenso "irren" Halbstaatsführers trägt--> Münchener Flughafen, dessen Geschäftspartner mit aller Wahrscheinlichkeit die "Wahnsinnigkeits-Kriterien" der Taz erfüllen sollten, ist es mutig sich auf ein Podest zu stellen und nach unten ins tiefe Tal der "Verdammten" zu schauen.

    Hochachtungsvoll,

     

    Marko

  • D
    Daniel

    Schrecklicher shit ist das. Entscheidend ist, Menschen mit Krankheiten zu Unmenschen zu machen.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Falko Hennig hat Unrecht. Die Irren sind nicht immer unter uns. Sie sitzen über uns. Ganz real, in Banken, Kriegsministerien,Rundfunksendern, Verwaltungen und wie sich kürzlich zeigte sogar in Gerichten. Am schlimmsten aber sind die, die in Zeitungsredaktionen sitzen und saublöde Geschichten erfinden, wie ein gewisser Herr siehe oben. Als wenn die Realität nicht schon schlimm genug wäre.

  • KS
    Karl Sonneschein

    FALKO HENNIG,

     

    Faellt ihnen zu den ueblichen Verdaechtigen wie Chavez und Castro tatsaechlich nichts Besseres ein? Wie waere es mit einer Liste demokratisch gewaehlter Kriegsverbrecher der juengeren Geschichte? Gegen diese westliche Irren erscheinen Chavez und Castro wie Vorzeigebuerger.

     

    Aber mal ganz abgesehen davon, noch viel irrer als Nordkoreas Diktatoren finde ich den Umstand das es in einem der reichsten Laender Europas so etwas wie Armut, Hartz4, Tafel und Obdachlosigkeit gibt.

     

    Ueber diesen laecherlichen Zivilisationsvorsprung lacht wohl selbst ein Kim Jong Un, von China ganz zu schweigen.

  • R
    Robert

    Chavez auf eine Stufe mit Hitler, Stalin, Ghaddafi und den Kims zu stellen, ist nicht nur kühn, es zeigt auch, dass sich der Autor offenbar mit der Materie nicht beschäftigt hat. Sicher, man kann einiges in Venezuela kritisieren. Sicher, Chavez war ein Populist. Aber keiner, der sein Volk ermorden ließ. Keiner, der es in Elend trieb, eher im Gegenteil. Keiner, der Eroberungskriege gegen seine Nachbarn führte. Keiner, der die Welt mit atomaren Waffen bedrohte. Einer, der immer demokratisch gewählt wurde - was selbst Wahlbeobachter bestätigen. Dass seine Politik dem Westen nicht in den Kram passt, ist eine ganz andere Sache. Das in Deutschland ja beliebte Stilmittel des "Hitlervergleichs" steht der Taz hier nicht gut an.

  • UM
    Ulli Müller

    Werte aktuelle TAZler,

    irgendwie verwaltet ihr ein Erbe (mindestens) genauso schlecht wie die aktuellen Sozen.

    Dieser Artikel wäre schon als lustig gemeinte Kolumne eine Katastrophe. Hat die Bürgerliche Einheitspresse die TAZ übernommen?

    Welche Leute hier mit wem verglichen werden?

    Wie wäre es mal mit einer treffenden Darstellung,

    warum zum Beispiel unsere Nordkoreanischen Kriegstreiber viel harmloser sind als die US Kriegstreiber! (wer hat denn schon Atombomben auf andere Länder gefeuert?)

    Warum die russische Wirtschaft nicht mit der von Chavez verglichen werden sollte/kann, sondern viel eher mit der “westlichen“!

  • M
    marc

    Muss es nicht gerechterweise „Diktatoren und Diktatorinnen“ heissen? Warum wird die weibliche Form immer unterschlagen, wenn es gilt Negatives zu beschreiben? Wo ist denn da die sprachliche Gleichberechtigung?

  • P
    Philipp

    Dieser Text darüber, wie böse und gefährlich psychisch Kranke sind und das deswegen alle bösen und gefährlichen Menschen als psychisch krank betrachtet werden sollten, passt vom Menschenbild her eher in die Nachkriegszeit. Merkt ihr eigentlich nicht, dass ihr hier alle psychisch Kranke beleidigt und ihnen die Menschlichkeit absprecht? "Wenn jemand geisteskrank ist, dann ist es nicht mehr nötig, sich mit seinem Weltbild auseinanderzusetzen" ist krankenfeindlicher Unsinn, der eigentlich bei allen am Text beteiligten die Alarmglocken schellen lassen sollte.

  • W
    wassolldas

    Seit wann ist Hugo Chávez ein Diktator? Wurde er nicht demokratisch gewählt (mehrmals!!!)?

    In dieser Artikel trifft sich der Autor mit den konservativen Medien aus Spanien, USA usw... Schade!

  • HH
    Hannes Hanf

    Also wenn so manipulativ argumentiert wird wie beim Autor des Artikels, dann frage ich mich ernsthaft, ob dieser Autor nicht lieber für Springers Welt schreiben sollte?

    Hier wird ernsthaft Hugo Chávez auf eine Stufe mit Massenmördern wei Saddam Hussein, Osama Bin Laden, Kim Jong Il und (!) Stalin und Hitler stellt - ist dem Autor da irgendwas abhandengekommen?

     

    Wenn er Chavez nennt, hätte er genauso die marktkonformen Bankenvertreter Merkel und Schäüble mit in die Reihe aufnehmen können.

  • M
    Marko

    Hitler mit Chavez zu vergleichen, enthält den Tatbestand--> "Verharmlosung des Holocaustes". Es sit mir nicht bekannt und bewusst, dass dieser Herr Menschen einer anderen konfessionellen Überzeugung, Rasse, .. etc. systematisch ermorden liess.(abgesehen von den über 20 Millionen Ermordeten Menschen die es ohne den pathologisch kranken Raubzug des damalien Deutschlands nicht gegeben hätte.

    In einem Land wo einer der grössten Flughäfen den Namen eines ebenso "irren" Halbstaatsführers trägt--> Münchener Flughafen, dessen Geschäftspartner mit aller Wahrscheinlichkeit die "Wahnsinnigkeits-Kriterien" der Taz erfüllen sollten, ist es mutig sich auf ein Podest zu stellen und nach unten ins tiefe al der "Verdammten" zu schauen.

    Hochachtungsvoll,

     

    Marko