■ Keine Alternative zur Straße: Bildungszynismus
An die Bildungskrise haben wir uns bald gewöhnt. Was aber derzeit in der Berliner Schulpolitik getrieben wird, führt geradewegs in die Bildungskatastrophe. Schulsenator Jürgen Klemann (CDU) erweist sich als unfähig, arbeitslosen Jugendlichen eine Alternative zur Straße anzubieten. Wer nach dem qualifizierenden oder sonst einem Abschluß keine Lehre bekommt, steht weiter in der Schulpflicht und hat gleichzeitig ein Recht: Das Land muß ihn ersatzhalber in einem „Vollzeitlehrgang“, technokratisch „VZ 11“ abgekürzt, auf den Beruf vorbereiten. Dieses Jahr werden die in Berlin angebotenen rund 1.000 Plätze nie und nimmer ausreichen. Der Senator verbaut damit vielen Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren die Lebensperspektive, ehe sie richtig begonnen hat. Diese „jungen Ungelernten“ begleiten, das hat sich in der Bundesrepublik schon einmal nach sogenannten „Ausbildungsengpässen“ in den 70ern gezeigt, die Gesellschaft als Alkohol- und Drogen-„Problem“ über Jahrzehnte hinweg. Angesichts einer orientierungslosen Jugend mutet die Tatenlosigkeit des Senators wie Nachwuchsarbeit für Rechtsradikale an. Christdemokrat Klemann wird sich herausreden, wie es seine Adlati bei jeder Anfrage tun. Schon 1992 habe es einen deutlichen Anmeldeüberhang für die sogenannten Vollzeitlehrgänge gegeben. Er sei letztlich doch noch abgefangen worden, weil viele Jugendliche kurz vor Torschluß noch bei einem Lehrmeister Unterschlupf fanden. Ein finsteres, ein verlogenes Argument. Jeder Lehrer in den Oberstufenzentren, welche die „VZ 11“-Klassen beherbergen, kann es widerlegen. Die Jugendlichen fühlen sich als Schulabgänger und sollen doch weiter die Schulbank drücken. Sie spüren ihre Perspektivlosigkeit und bleiben schließlich dem Unterricht fern. Mitnichten haben sie alle eine Lehrstelle oder einen Platz in einer Berufsfachschule gefunden, wie Klemann glauben machen will. Der „Lehrstellenmarkt“, vor allem im Osten der Republik, wird von einem Kartell der Verschleierer beherrscht. Die Wirtschaftsverbände versprachen dem Kanzler zum Solidarpakt: Alle Jugendlichen im Osten kriegen eine Lehrstelle! Und nun, da immer noch über 40.000 Jugendliche diesseits der Elbe ohne Lehrstelle sind, soll es plötzlich keine Garantie mehr gewesen sein. Der Bund hatte beinahe gleichzeitig eine Sonderregelung auslaufen lassen. Er schloß die „außerbetrieblichen Bildungsstätten“ – es gab ja die „Garantie“. Und die Parteien? Die CDU zum Beispiel lädt morgen zu einer Bilanz der Aktion „Zukunft jetzt – Ausbildung 93“ ein. Der Zynismus kennt offenbar keine Grenzen. Christian Füller
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen