: Kein einziges Wort der Entschuldigung
Der französische Untersuchungsrichter Fabrice Burgaud, eine der Hauptfiguren im „Pädophilie-Prozess“ von Outreau, stellt sich der parlamentarischen Untersuchungskommission. Selbstkritik und Verständnis für die unschuldig Inhaftierten – Fehlanzeige
AUS PARIS DOROTHEA HAHN
Der Richter ist kreidebleich. Er stottert. Bringt kaum ganze Sätze zustande. Sogar während er seinen schriftlich vor ihm liegenden eineinhalbstündigen Einführungsvortrag vor der parlamentarischen Untersuchungskommission hält. Fabrice Burgaud, 34, war der mächtige Mann im Kern der „Justizkatastrophe von Outreau“, ein harter und kompromissloser Untersuchungsrichter. Jetzt beantwortet er einfache Fragen mit langem, hilflosem Schweigen.
Sieben Fernsehsender übertragen seine Anhörung direkt. Fünf Millionen erleben am Bildschirm, dass der Untersuchungsrichter kein Wort der Entschuldigung findet. Dass er jeden Blickkontakt zu seinen früheren Angeklagten vermeidet. Und dass er statt Selbstkritik Worte sagt wie: „Vielleicht habe ich manche Dinge falsch eingeschätzt. Das kann sein. Aber welcher Richter macht keine Fehler?“
Für die Angeklagten in Outreau, der Kleinstadt nahe der belgischen Grenze, wo 2001 ein angeblich „internationaler Pädophilenring“ aufgedeckt wurde, entschied Untersuchungsrichter Fabrice Burgaud über ihr Schicksal: Er verfügte jahrelange Haftzeiten. Er entzog Eltern ihr Sorgerecht. Er platzierte Kinder in Heime. Und er ermittelte grundsätzlich zu Lasten der Angeklagten. Unter seiner Ägide wurden vierzehn Erwachsene, die vom ersten Moment an ihre Unschuld beteuerten und zu deren Entlastung es zahlreiche andere Hinweise gab, zu „Monstern“ und zu „Kinderschändern“. Die Medien trugen jeden neuen Verdacht inklusive Namen und Fotos der Beschuldigten in die Öffentlichkeit. Die meisten Angeklagten verbrachten zwei, manche über drei Jahre im Gefängnis. Einer überlebte nicht. François Mourmand starb 2002 an einer Medikamentenüberdosis in der Haft. Erst Jahre nach seinem Tod wurden die anderen dreizehn „Pädophilen“ freigesprochen. Das „internationale Pädophilennetzwerk“ schrumpfte zu Kindesmissbrauch im Familieninneren zusammen.
Seit Anfang des Jahres versucht die parlamentarische Untersuchungskommission, Lehren aus der größten Justizkatastrophe seit Menschengedenken zu ziehen. Die Kommission hört PolizistInnen, ErzieherInnen, PsychologInnen und andere „ExpertInnen“, die den Untersuchungsrichter beraten haben. Und die freigesprochenen „dreizehn von Outreau“. Ende Januar beschrieben sie nicht nur eine arrogante Justiz, sondern auch persönliches Leid. Schläge und Misshandlungen durch Mitgefangene, zerbrochenen Ehen und Beziehungen, Misstrauen und Selbstmordversuche. Als Karine Duchochois, die hochschwanger in die Ermittlungen geriet, erzählte, dass sie ihr Baby drei Jahre nicht sehen durfte, tupften sich Abgeordnete die Augen ab.
Schon vor ihren Anhörungen vor der Untersuchungskommission waren die „dreizehn von Outreau“ zu nationalen Sympathieträgern geworden. Fernsehteams und Bücher begleiten sie bei ihrer Rückkehr in den Alltag. Gleichzeitig entstand im Land das Bild eines neuen Bösewichts: der Untersuchungsrichter Burgaud. Seit er Drohungen erhält, wird er rund um die Uhr von Polizisten begleitet.
Sieben Fernsehsender entdeckten das Einschaltquotenpotenzial der Anhörung von Burgaud. Ihre Zuschauer erlebten einen schwachen Richter. Aber sie bekamen keine Antworten. Auch nicht auf die zentrale Frage: Warum lässt die Justiz ihre Untersuchungsrichter, dazu völlig unerfahrene Absolventen, allein mit schwer wiegenden Fällen?
Die Reformvorschläge der Kommission werden in sechs Monaten erwartet. Dann ist Präsidentschaftswahlkampf. Nur OptimistInnen glauben, dass eine tief greifende – und teure – Justizreform stattfinden wird.