Kein deutscher Pass für verfolgte Frauen: Opposition verlangt Neuregelung
Den Nachkommen vom im NS verfolgten Frauen, die im Exil einen Ausländer geheiratet haben, wird die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert.
„Eine solche Ungerechtigkeit, für die niemand mehr Verständnis hat, ist nicht zu rechtfertigen“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff der taz. „Hier ist der Gesetzgeber gefordert.“ Der Bundestag müsse den Betroffenen den Weg in die deutsche Staatsangehörigkeit eröffnen.
Nach bestehender Gesetzeslage können die Nachfahren weiblicher NS-Verfolgter, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 geboren wurden, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht erlangen, weil für sie weiterhin das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) Gültigkeit besitzt.
Danach wird die Staatsangehörigkeit ausschließlich durch den Vater weiter gegeben. Hat eine im Nationalsozialismus verfolgte Frau im Exil einen Ausländer geheiratet und sind aus dieser Verbindung vor 1949 Kinder entstanden, so besitzen diese kein Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die Gesetzeslage steht im Widerspruch zum Grundgesetz. Nach Artikel 116, Absatz 2 sind „frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge“, auf Antrag einzubürgern.
Viele Fälle in Großbritannien
Derzeit sind mehrere Fälle in Großbritannien bekannt, bei denen die Bundesrepublik Nachfahren von Jüdinnen, die im englischen Exil überlebten, die Verleihung der Staatsbürgerschaft verweigert. Die Problematik wurde in jüngster Zeit im Zuge des geplanten Austritts Großbritanniens aus der EU deutlich. Allein von Januar bis Oktober 2018 beantragten 1.228 Personen unter Berufung auf die frühere deutsche Staatsangehörigkeit ihrer Vorfahren dort die deutsche Staatsangehörigkeit.
„Angesichts der zahlreichen Einbürgerungsanträge muss die Bundesregierung schnellstmöglich tätig werden“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, der taz. „Eine gesetzliche Neuregelung, die den Bedürfnissen der Betroffenen gerecht wird, ist machbar und verfassungskonform.“ Das bestätigt auch ein von Jelpke angefordertes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das der taz vorliegt.
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) hält die jetzige Regelung für einen Skandal. „Dass sich die verfassungswidrige Benachteiligung von deutschen Frauen im Staatsbürgerschaftsrecht der frühen Bundesrepublik bis heute in entsprechenden Entscheidungen bei ihren Kindern fortsetzen soll, ist ein Aberwitz“, sagte er der taz.
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Mathias Middelberg sagte, er könne „das Unverständnis der Betroffenen durchaus nachvollziehen“. Middelberg plädiert für eine pragmatische Lösung per Erlass. Das Bundesinnenministerium habe bereits für Personen, die zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 und der endgültigen Beseitigung der diskriminierenden Regelungen des alten Staatsbürgerschaftsrechts 1975 geboren wurden, eine erleichterte Möglichkeit der Einbürgerung nach Ermessen eröffnet.
„Bei vor dieser Zeit geborenen Kindern von deutschen Frauen, die aufgrund des Nazi-Unrechts vor Mai 1945 gezwungen waren, ihr Leben im Ausland fortzuführen, sollte ein solcher Weg ebenfalls gefunden werden“, sagte Middelberg.
Innenministerium will prüfen
Eine Sprecherin des Bundesinnernministerums erklärte auf Nachfrage, dasss „auch einige Wiedergutmachungsfälle mit der beschriebenen Problematik“ an das Ministerium herangetragen worden seien. „Aus diesem Anlass prüft das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat bereits, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die erleichterte Einbürgerungsmöglichkeit nach § 14 StAG auf die vor Inkrafttreten am 24. Mai 1949 geborenen ehelichen Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Mütter und ausländischer Väter ausgedehnt werden kann“, sagte die Sprecherin der taz.
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