■ Kein Wort zu Tschetschenien beim IWF-Kredit für Rußland: Augen zu – und zahlen
Kein Protest erhebt sich in Moskau, obwohl diesmal aller Grund vorhanden wäre. Gewöhnlich reagiert Rußland gereizt auf fremde Ansinnen, sich in die inneren Angelegenheiten der verblichenen Supermacht einzumischen. Der abgesegnete 10-Milliarden- Dollar-Kredit, den der IWF nach monatelanger Beratung dem an Barmitteln knappen Land einräumte, besitzt mehr politische Schlagkraft als jene lustlosen diplomatischen Noten aus dem Westen, die Rußland angelegentlich erinnern sollen, doch bitte schön ein bißchen auf das Image draußen zu achten.
Im vorliegenden Fall ist der Tatbestand massiver interessengeleiteter Einmischung jenseits jeglicher Zweideutigkeit erfüllt. Den Westen kostet der Präsidentschaftswahlkampf Boris Jelzins zumindest die erste Tranche von drei Milliarden, die schon in den nächsten Tagen in Moskau erwartet wird. Mit so einem Finanzpaket unterm Arm kann bei den Wahlen nicht mehr allzuviel schiefgehen. Jelzin war sich des Vertrauens der Kreditgeber, genauer: der fehlenden oder unbefriedigenden Alternative zu ihm schon seit längerem sicher, die Spritze für den Etat eingeplant. Für die Kreml-Herrn seit Jahren ein Glücksumstand, der andere Vergehen vergessen macht.
Aus dem Kalkül der Kreditoren läßt sich der Schritt selbstverständlich nachvollziehen. Lieber heute zuschustern als morgen – nach einem kommunistischen Wahlsieg – womöglich alles abschreiben. Bedenken sind nicht aus der Luft gegriffen. Kandidat Gennadij Sjuganow empfiehlt sich zwar im Ausland als Freund des internationalen Finanzkapitals. Im Unterschied zu den Generalsekretären der KPdSU hat er innerparteilich indes einen schweren Stand.
Die makroökonomische Performance Rußlands in den letzten zwei Jahren läßt den Kredit gerechtfertigt erscheinen. Zumindest ein Teil des Geldes dürfte tatsächlich in den Umbau der Produktion fließen, um die Depression langfristig zu überwinden. Doch keine Gewähr zu erhalten, daß damit nicht auch der Vernichtungsfeldzug in Tschetschenien finanziert wird, muß nachdenklich stimmen – zumal bei der Kreditvergabe dieser Schandkrieg mit keinem Sterbenswörtchen auch nur erwähnt wird. Der Eindruck bestätigt sich einmal mehr: Rußlands gigantisches Unruhe- und Vernichtungspotential erstickt jegliche Kritik. Um Balance und Ruhe zu wahren, heißt es nun mal – zahlen. Weder Rußland noch der Westen hat die Wahl. Klaus-Helge Donath, Moskau
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