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Archiv-Artikel

Kein Teufel hat geholfen

Die Jäger aus dem Takt gebracht: An der Deutschen Oper wollte Alexander von Pfeil Webers „Freischütz“ neu einstudieren. Aber dazu fehlte ihm jede Idee. Und der Dirigent fuchtelte nutzlos

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Vielleicht muss einer wirklich ein Genie sein, um mit dem Chor und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin ausgerechnet den Jägerchor aus dem Takt zu bringen. Der Chefdirigent Renato Palumbo hat es geschafft, man traute seinen Ohren kaum. Das Stammlied deutschtümelnder Biederkeit, das zum festen Bestand jeder Blaskapelle der freiwilligen Feuerwehr und des örtlichen Männergesangsvereins gehört, geriet zum veritablen Skandal der Premiere. Die Hornisten im Graben, allesamt wahre Meister ihres Instruments, und die Herren des Chores, die gewohnt sind, weit schwierigere Aufgaben mit Perfektion zu bewältigen: sie wollten einfach nicht zusammenkommen. Palumbo mochte mit seinem Taktstock herumfuchteln, wie er wollte, Strophe und Strophe wurde es immer schlimmer. Das Lob der Waidmannslust endete in geradezu avantgardistischer Polymetrik und Kakophonie.

Grandios, wenn die Katastrophe mit Absicht herbeigeführt worden wäre. Dekonstruktion und Satire könnten dieses Stück, das 1821 in Berlin uraufgeführt worden ist, durchaus in die Gegenwart retten. Es lohnte, genauer hinzuhören, was Carl Maria von Weber und sein Textschreiber Friedrich Kind vielleicht zu sagen hatten hinter dem Dunstschleier romantisch verklärter Jägerei und obrigkeitshöriger Frömmelei. Diese Oberfläche passte perfekt in die biedermeierliche Restauration, aber Webers erstaunlich kühle, lakonisch präzise Melodien könnten sehr wohl auch als Indizien des Zweifels hörbar sein.

Dumme Jungs schießen um die Wette – und um die jungfräuliche Braut. Gott, Vater und Oberförster sind ihnen heilig – in dieser Reihenfolge. Nur einer verkauft seine Seele dem Teufel. Natürlich ist er der Held, der tragisch scheitert, nicht die Guten und Frommen. Ballerspiele und seelische Verwahrlosung von heute könnten die Matrizen einer Interpretation sein, die dieses Werk gegen seine Popularität in Schutz und damit ernst nimmt. Ein Jägerchor, der nicht einmal den simpelsten Marschtakt halten kann, hätte dann seinen guten Sinn.

Aber so wollte es Palumbo gar nicht haben. Er wollte alles richtig machen. Er konnte es nur nicht. Auch der Regisseur Alexander von Pfeil und der Bühnenbildner Bernd Damovski wollten einen ordentlichen „Freischütz“ einstudieren. Auch sie konnten es nicht. Palumbo mag nur einen schlechten Tag gehabt haben, den beiden anderen fehlte es an Ideen.

Vollmundig schwafelt das Programmheft von der „Zerrüttung einer Gesellschaft“, zu sehen ist davon nichts. Damovski hat die Bühne leergeräumt, von der Decke hängen Kronleuchter, am Ende, wenn es zur Hochzeit geht, auch ausgeweidetes Wild. Die Solisten stehen vorne, hinter ihnen das Volk, das manchmal ein wenig tanzt, alle in Kostümen der Uraufführungszeit. Was bewegt diesen Max, der plötzlich nicht mehr schießen kann, was diesen Kuno, der sich beim Teufel Wunderkugeln besorgt? Fragen, die sich von Pfeil und Damovski nicht einmal gestellt zu haben scheinen. Tiziano Bracci und Reinhard Hagen singen gepflegt und wohlklingend, aber die Regie lässt sie im Stich.

Etwas besser geht es den Frauen. Das wiederum liegt nicht an der Regie, sondern an Cécile de Boever als Ännchen und Michaela Kaune als Agathe. Die eine führt mit sonorer Stimme eine im Trübsinn dieser geistlosen Umgebung wohltuend schrille Dienerin und Freundin vor, die andere eine junge Frau, die Gottergebenheit, Tugend und Glück vereinigen möchte, aber mit ihrer schlanken, durchscheinenden Stimme fühlen lässt, dass es nicht geht. Am schönsten im Gebet der Jungfrau, das Weber an den Anfang des dritten Aktes gestellt hat: Völlig frei von aller Sentimentalität zeichnet die Melodie die Konstruktion eines vollkommen unmenschlichen, abstrakten Glücks nach, das anrührt, weil es nur im Unglück enden kann. Spontaner Applaus bei offener Szene war der Dank für diese Leistung. Michaela Kaune war kurzfristig für die erkrankte Manuela Uhl eingesprungen. Allzu viel scheint sie in den Proben nicht verpasst zu haben.

Wieder am 27. und 30. März, 4. April