"Kein Schreckenswort": Arbeitsamt verteidigt Mindestlohn
Mindestlöhne vernichten keine Jobs, sagt Arbeitsagentur-Chef Weise. Das liefert den Sozialdemokraten neue Munition gegen die skeptische Union.
Von ihm hätte man eine Verteidigung des Mindestlohns nicht erwartet. Frank-Jürgen Weise, der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), ist CDU-Mitglied und saß vor seinem Behördenjob im Vorstand mehrerer Unternehmen. Seiner Ansicht nach vernichten Mindestlöhne nicht unbedingt Arbeitsplätze: "Die entscheidende Frage wird sicher die Höhe sein. Wenn sie angemessen sind - und das sollen die Tarifpartner aushandeln -, dann werden sie keine Arbeitsplätze vernichten", sagte Weise.
Seine These illustriert der Management-erfahrene BA-Chef mit einem abschreckenden Beispiel: In Berlin gebe es polnische Wäschereien, die ihren Beschäftigten einen Stundenlohn von zwei Euro zahlen. "So etwas ist nicht mehr durchhaltbar für eine Volkswirtschaft", kritisierte Weise. Die Lebenshaltungskosten lägen in Deutschland deutlich höher als in Ländern wie Indien, China oder Polen, entsprechend könnten dortige Löhne hier nicht zum Maßstab gemacht werden. Neben Weise sprachen sich während der Feiertage auch Gewerkschaftsfunktionäre und Politiker für Mindestlöhne aus. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck kündigte an, bei dem Thema im neuen Jahr nicht locker zu lassen.
Weise beruft sich auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, welches an die Bundesagentur angegliedert ist. Laut der Erhebung sei nicht ohne weiteres nachweisbar, dass sich Mindestlöhne negativ auf die Beschäftigung auswirkten, sagte Weise. Wenn durch sie die Preise einzelner Produkte stiegen, sei das zwar ein Nachteil. "Aber die Frage ist ja: Ab welcher Grenze ist das wirklich so? Und insofern ist Mindestlohn für uns kein Schreckenswort."
Eine aktuelle Studie des Instituts hat Lohn- und Beschäftigungseffekte im Baugewerbe untersucht. Hier gilt durch das Entsendegesetz seit 1997 ein Mindestlohn. "Unsere Ergebnisse zeigen für das Bauhauptgewerbe, sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland, positive Lohneffekte der Mindestlohnregelung", schreiben die Autoren.
Allerdings gibt es deutliche Unterschiede. Im Osten, wo weniger bezahlt wird, stellen die Forscher erwartungsgemäß ein "hochsignifikant höheres" Lohnwachstum fest, gleichzeitig sinke die Wahrscheinlichkeit bei den Betroffenen, weiterbeschäftigt zu werden. "Die Verbesserung der Entgeltsituation im Niedriglohnbereich wurde offenbar teilweise durch Jobverluste unter den (...) Arbeitern erkauft." Im Westen hingegen steige die Wahrscheinlichkeit der Weiterbeschäftigung, zudem seien Lohnzuwächse zu beobachten - sogar dann, wenn Arbeiter über Mindestlohn-Niveau verdienen. "Eine beschäftigungsschädliche Wirkung der Mindestlohnregelungen im Bauhauptgewerbe der alten Bundesländer kann (...) nicht nachgewiesen werden."
Die SPD will nach den Briefzustellern weitere Branchen in das Entsendegesetz aufnehmen. Beck nannte als Beispiele die Fleischverarbeitung, das Bewachungs- und Friseurgewerbe sowie die Leiharbeit. Gleichzeitig will er sich weiter für allgemeine Mindestlöhne stark machen. "Ich habe zur Kenntnis genommen, dass es in der Union jetzt eine Diskussion über allgemeine, gesetzliche Mindestlöhne gibt. Das würde ich natürlich gerne vereinbaren." Den Betrag könne eine Lohnfindungskommission vorschlagen, in der Arbeitgeber und -nehmer sitzen, so Beck weiter. Die SPD-Vizevorsitzende Andrea Nahles sagte, sie glaube nicht, dass die CDU noch lange Argumente finden werde, Arbeitnehmern einen Mindestlohn vorzuenthalten. "Der Zug rollt."
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