: Kein Rauchverbot im Meer
Bremer Geochemikerin fand auf dem Meeresgrund Wasser-Quellen mit Temperaturen weit über 400 Grad. Diese Hölle am Meeresboden ist die Laborküche, in der sich das Leben zusammenbraute
Von Klaus Wolschner
Kann Wasser 464 Grad heiß werden? Jeder Schüler würde sagen: Natürlich nicht. Internationale wissenschaftlichen Zeitschriften wie der Newscientist Environment oder Geology berichten in diesen Tagen darüber, dass eine Forschungsexpedition unter der Leitung der Geochemikerin Andrea Koschinsky von der Jacobs University genau das gemessen hat. In einem vulkanischen Bereich im südlichen Pazifik strömt in 3.000 Meter Tiefe aus dem Meeresboden derart extrem heißes Wasser. Geochemiker nennen den Zustand des Wassers bei solchen Temperaturen „superkritisch“, unter einem Druck von ca. 300 Bar ist es ein Wasser-Dampf-Gemisch. Wenn diese Messung stimmt, dann stimmen unsere Theorien über das Wasser nicht, sagt der Bremer Geologe Wolfgang Bach vom Institut MARUM an der Bremer Uni. Aber er hat keinen Grund, an den Messungen zu zweifeln – sein Kollege Hans-Hermann Gennerich vom MARUM-Institut hat die Messgeräte entwickelt.
Schon im Jahre 2005 war dort die Temperatur von 464 Grad gemessen worden, wie Newscientist berichtet. Damals mochten die Geologen ihren Zahlen aber nicht recht glauben und berichteten öffentlich nur von Messungen bis 407 Grad. Soweit ließen sich die Messergebnisse mit den theoretischen Modellen vereinbaren. Nun hat im Januar eine erneute Expedition zu diesem „Schwarzen Raucher“ stattgefunden. Im Fahrtbericht stehen die Details einer Messung, in der über eine halbe Stunde zwischen 451 Grad und 506 Grad gemessen wurden. „Es ist Wasser, aber nicht wie wir es kennen“, sagt Andrea Koschinsky von der Jacobs-Uni.
Die heiße Flüssigkeit befindet sich in einem Zustand, der nur bei hohen Temperaturen und Drücken auftreten kann. Dabei vermischen sich die gasförmige und flüssige Phase von Wasser. Es ist schwerer als Wasserdampf, aber leichter als das umgebende Salzwasser, so dass es mit großer Geschwindigkeit nach oben sprudelt. Daher der Name „Schwarze Raucher“.
Wissenschaftler des „Woods Hole Oceanographic Institute“ (WHOI) in Massachusetts haben zu den Messungen erklärt, die bisherigen Modelle über das Wasser würden solche Temperaturen eigentlich ausschließen – die Modelle müssten also korrigiert werden. Da geht es um Grundlagenforschung – allerdings für einen Bereich, in dem man die Geheimnisse des Ursprungs von Leben überhaupt vermutet. Am Meeresgrund herrschen, so erklärt der Bremer Geologe Wolfgang Bach, ganz außergewöhnliche Bedingungen, unter denen vermutlich der Evolutionsschritt von der anorganischen zur organischen Chemie passierte. Kein Sonnenlicht dringt in 3.000 Meter Tiefe, ihre Energie müssen Lebewesen dort unten im Stockdunkeln aus chemischen Prozessen gewinnen.
Bach war zur Zeit der Planungen der Forschungsprojekte noch am WHOIS in Massachusetts und ist erst vor zwei Jahren an‘s MARUM nach Bremen gekommen. Er plant, im Jahre 2010 eine Expedition, in der extrem saure Quellen auf dem Meeresgrund erforscht werden sollen. „Das Leben blüht dort unten“ – unter Bedingungen, unter denen oben auf der Erde alles absterben würde, sagt er. Wie das sein kann, ist bisher ein Geheimnis.
Warum kommt ein Wissenschaftler von einem renommierten US-Institut nach Bremen? Für Bach hatte das schlicht fachliche Gründe: Die Forschungsförderung ist in den USA stärker von den geldgebenden Institutionen bestimmt und auf kurzfristige Erfolge getrimmt. Grundlagenforschung aber braucht einen langen Atem.