: Kein Konsens in Sicht
■ In Korea haben die Betonköpfe das Sagen
Eigentlich ist der 15. August in Nord- und Südkorea ein Anlaß zum Feiern. Der Tag markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien und eine Ende der jahrzehntelangen Agonie des koreanischen Volkes als entrechtete und ausgebeutete Kolonie Japans. Doch wie wenig besonders die Bürger des Südens Grund zum Feiern haben, zeigte erneut der gestrige Tag. Mit der Verhaftung der südkoreanischen Studentin Rim Suk-Jung unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus dem kommunistischen Norden wird eines ganz deulich: Präsident Roh Tae Woo ist mehr denn je davon entfernt, den Süden des Landes der Morgenstille zu demokratisieren.
Vergessen scheinen all die Versprechen, die der frühere General im Sommer 1987 seinen Landsleuten gemacht hatte. Den drohenden Boykott der Olympischen Spiele im Nacken und angesichts von Massenprotesten auf den Straßen hatte Roh Tae Woo einen Demokratisierungsplan vorgelegt, der aufhorchen ließ. Dem Rücktritt des zuvor regierenden Diktators Hwan und seiner Verbannung ins innere Exil waren nahezu freie Präsidentschafts- und schließlich sogar Parlamentswahlen gefolgt, aus denen sogar die Opposition als eindeutige Sieger hervorgingen.
Doch damit schien schon das Ende der Fahnenstange für Roh erreicht. Auf Druck der alten Militärs und Betonköpfe in seiner Gerechtigkeitspartei sperrte er sich bereits im Herbst letzten Jahres entschieden dagegen, den Verbrechen seines Vorgängers entschieden nachzugehen. Auch in der Frage Wiedervereinigung ist Roh keinen Deut weitergekommen als sein Vorgänger. Er benutzt das ominöse Nationale Sicherheitsgesetz als großen Prügel, mit dem er auf jegliche Opposition einschlägt. Nicht nur die Nordkoreareisende Rim Suk-Jung kam für ihre Kontakte mit dem Norden in Polizeigewahrsam. Auch der Oppositonsführer Kim Dae-Jong wurde unter dem Vorwurf, Nordkoreakontakte gefördert zu haben, unter Anklage gestellt. Unter dem Druck der Konservativen in den eigenen Reihen scheint Roh zu einer Hetzjagd gegen all jene aufgebrochen zu sein, die nicht seiner Wiedervereinigungspolitik folgen.
Doch das kann weitreichende Folgen haben. Denn Wiedervereinigung ist in Korea noch immer ein Thema, das weiten Teilen der Bevölkerung sehr am Herzen liegt. Wenn Roh nun nicht nur auf die Studenten, sondern auch auf die parlamentarische Opposition einschlägt, zerstört er den ohnehin schmalen Grat des Konsenses in der südkoreanischen Innenpolitik. So werden sich viele Bürger nicht nur wieder darauf besinnen, daß ihren Forderungen nur nachgegeben wird, wenn sie dafür auf die Straße gehen. Auch die Pläne von Nordkoreas Diktator Kim Il Sung könnten unter den Studenten Seouls hoffähig werden.
Jürgen Kremb
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