Kein Hauch von Selbstzweifel

Der Prozeß gegen den früheren Chefarzt und Orthopädieprofessor Bernbeck vor dem Abschluß / Im Zuge der Ermittlungen wurden katastrophale Mängel in Krankenhäusern entdeckt  ■  Aus Hamburg Gabi Haas

Einst reihte man ihn ein unter „die großen Ärzte Hamburgs“, rühmte den Verfasser unzähliger wissenschaftlicher Publikationen als den „Nestor der Kinderorthopädie“ und überhäufte ihn mit Ehrendoktorwürden. Fünf Hamburger GesundheitssenatorInnen ließen sich von ihm behandeln.

Jetzt heißt er der „Skandalprofessor“ oder der „Arzt des flinken Messers“. Die Rede ist von dem Hamburger Ex-Chefarzt und Orthopädieprofessor Rupprecht Bernbeck, der sich nun schon elf Monate lang im größten Kunstfehlerprozeß in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik wegen fahrlässiger Körperverletzung in drei Fällen und vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung in einem Fall verantworten muß. Ein Vergehen, das Staatsanwalt Wolfgang Arnold mit einem Jahr Gefängnis auf Bewährung geahndet sehen will. Dieser Strafantrag, so erboste sich der prominente Angeklagte gestern in seinem Schlußwort, sei nichts als „optische Spiegelfechterei“. Als ein „nicht vorbetrafter 73jähriger Greis, der die Justiz bisher nur als Sachverständiger kennengelernt“ habe, werde er nun „in die Ecke asozialer Krimineller gerückt“.

Vom Arzt- zum Krankenhausskandal

Daß der unumschränkte Herrscher der orthopädischen Abteilung eines Hamburger Großkrankenhauses „nur“ in fünf Fällen vor den Strafrichter zitiert wurde (in einem Fall wurde das Verfahren eingestellt), ist reiner Zufall. Seit sich 1984 mehrere verpfuschte Bernbeck-Patienten zu einer Initiative zusammenschlossen und den Bernbeck-Skandal ins Rollen brachten, seit Hunderte von Bernbeck-Geschädigten Schmerzensgeld forderten und ein daraufhin einberufener Parlamentarischer Untersuchungsausschuß katastrophale Mängel im Hamburger Krankenhauswesen aufdeckte, hat die Stadt zusammen mit der Allianz-Versicherung bereits über 14 Millionen Mark an die Betroffenen bluten müssen.

Doch für eine Strafanzeige war es in den meisten Fällen zu spät. Stellvertretend für seine LeidensgenossInnen tritt der ehemalige Postbeamte Rainer Janke als Nebenklägerr gegen den Arzt, der ihn zum körperlichen und seelischen Krüppel machte.

Nach der Behandlung war der Patient ein Krüppel

Janke, der Bernbeck 1979 wegen seiner O-Beine aufsuchte, seitdem auf Rollstuhl und Gehapparate angewiesen ist und sich vor zwei Wochen erneut das von einer Infektion zerfressene linke Schienenbein brach, hat die in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte bisher einmalige Summe von 1,4 Millionen Mark erhalten. Das Geld können die Kostenträger aber nur dann vom Angeklagten zurückfordern, wenn das Gericht sich zu einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung entschließt.

Doch das versuchten die Verteidiger vor allem mit der Verunglimpfung jenes Sachverständigen Dr. Zobel zu erreichen, auf dessen gutachterliche Aussagen sich der Anklagevertreter hauptsächlich stützte. Während Bernbeck -Anwalt Peter Wandschneider die bedingungslose Parteinahme des Gutachters Prof. Mittelmeier auf dessen „bajuwarischen emotionalen Charakter“ reduziert, ist Zobel für ihn ein unqualifizierter Orthopäde, der klinische Sachverhalte nicht beurteilen könne und sich in diesem Prozeß „bemitleidenswert decouvriert“ habe.

„Meine Methoden stehen hier nicht zur Diskussion“

Mit der eisernen Disziplin des ehemaligen Marineoffiziers hat der 73jährige Mediziner an allen 53 Verhandlungstagen teilgenommen. Scheinbar unbewegt hörte er, wie die Patienten von fehlender ärztlicher Aufklärung, unbehandelten Knochenentzündungen, verdrehten Gelenken und jahrelangen Leidensgeschichten berichteten.

Regungslos auch hatte er den Schilderungen ehemaliger Untergebener gelauscht, die ihren Ex-Chef als unnahbaren Vorgesetzten schilderten, der keine unbequemen Fragen wünschte, dem auch Oberärzte nicht reinzureden wagten und gegen dessen Selbstherrlichkeit für eine Mitarbeiterin nur das stillschweigende Niederlegen jeglicher Mitverantwortung blieb.

Aus dieser Erstarrung löste sich der Angeklagte nur, wenn er selbst im Streit der Gutachter das Wort ergriff. Mühelos schlüpfte er dann in die Rolle des Professors, der - keinen Widerstand duldend - dem Gericht eine Lektion in Hüft-, Knie - und Knochenangelegenheiten erteilt. Kein Wort des Zweifels an dem eigenen Können, keinen Hauch der Selbstkritik ringt er sich ab, wenn er wie selbstverständlich erklärt: „Meine Methoden stehen hier nicht zur Diskussion.“

Und als er in seinem Schlußwort andeutete, er habe „aus seelischer Erschütterung“ über den Zustand des „vergeblich Operierten“ vielleicht mehr schlaflose Nächte als sein Patient Janke verbracht, kann dieser nur mit einem bitteren Hohnlächeln antworten.%%