piwik no script img

"Kaufmann von Venedig" in ZürichZähne zeigen, Liebe meinen

Treffen sich zwei Outlaws, der geächtete Jude Shylock und der schwule Kaufmann Antonio, der Angst vor Outing hat. Stefan Pucher inszeniert Shakespeare und zeigt Pop.

Das Wort "Pop" führt nur noch zu Unbehagen im Theater. Die Popkenner befürchten, dass Pop zur Dekoration missbraucht wird. Und die Hasser befürchten dasselbe, nur grundsätzlicher. Dass Pop immer schon Dekoration war. So flüstert man es allenfalls, das P-Wort. Oder lässt es gleich weg. Doch im Fall des 43-jährigen Regisseurs Stefan Pucher lohnt es zu insistieren. Das ist - in den besten Momenten im besten Sinn - Pop.

Was das alles heißen kann, sieht man bei Puchers Arbeiten oft gleich in der ersten Szene. Puls, Rhythmus, Beat - der Sprache. Seine Anfänge sind wie frisch vom Mischpult, im Morgengrauen rausgespielt: hypersensibel und druckvoll. Schnell sind sie nie. Denn Pop kehrt in Puchers Intros nicht als Abbildung wieder, sondern als Erfahrung. Auch in Zürich, auch bei diesem unmöglichen Stück: Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig", das seinen Skandal nicht im Titel trägt, aber dennoch davon handelt. Vom Juden Shylock nämlich, der dem Kaufmann Antonio als Pfand "ein glattes Pfund Fleisch" aus dem Leib schneiden will.

Auf der Pfauenbühne setzt sich Antonio an die Rampe und spricht leise: "Ich weiß nicht, warum ich so traurig bin." Viele Schiffe hat er auf dem Meer, alles läuft für ihn. Doch der Antonio von Jean-Pierre Cornu trägt das Haar schon schütter, unter der durchsichtigen Bluse schlägt ein Wämpchen Wellen. Und Antonio liebt den jungen Bassiano. Er hat sich etwas "eingefangen", wie es der Berliner Übersetzer Jens Roselt will. Das klingt fast wie Aids. Einfangen. Damit wird Antonio als Fremder markiert, noch bevor das entschieden Fremde auftritt. Der schwul Liebende steht dem reichen Juden Shylock gegenüber - eine Doppelgängerschaft der Outlaws.

Die Schätze auf See, die Antonio davonschwimmen werden, sind auch ein Bild für seine sinkende Erotik. Sein Kapital ist nicht mehr körperlich, sondern rein pekuniär: Er leiht dem Lebemann Bassiano Geld, damit dieser die schöne Portia in Belmont freien kann. Oliver Masuccis Bassiano tritt verschwitzt auf, mit Pornobrille und breitem Grinsen. Die Nacht, der Exzess: Dieser Glamour ist recht prekär. Und die von beiden gezeigten Zähne wirken eher kreatürlich als neu und weiß. Pop ist bei Pucher Melancholie. Vielleicht gerade weil die Körper unter Euphorie-Entzug leiden. Der eine hat kein Geld, der andere keine Jugend.

Auf diesem Grund erzählt Pucher die Gewalt des Stücks. Wie Antonio beim Juden Shylock für die Summe bürgt und den Vertrag mit dem Pfund Fleisch eingeht. Wie Bassiano wirbt, gewinnt, wie Antonio verliert und wie Shylock auf seinem Vertrag beharrt. Man muss sich entscheiden, wie man Shylock zeigt und wie seine Peiniger. Doch Pucher entscheidet sich meistens für die Ambivalenz. Pop ist das an dieser Stelle höchstens darin, skizzenhaft vieles offen zu lassen.

"Ich will nicht mit euch essen", schmettert Shylock ins Publikum. Robert Hunger-Bühler ist ein Schauspieler, der leise schreien kann. Vielleicht rührt der Effekt des Lauten daher, dass er laute Punkte setzt. Dass er wartet und mit den Augen horcht, wie die Worte wirken. Das ist mehr als schauspielerisches Abschmecken: Er kann zeigen, wie sein Shylock damit provozieren will. Oder muss. Denn die ärgsten Verletzungen fanden schon vor dem Stück statt. Was wir sehen, ist die gespiegelte Spirale unerwiderter Liebe: beim Juden Shylock die Ablehnung seitens der Christen, beim Kaufmann Antonio die Furcht vor dem Outing.

Der Abend legt aber eine Vielzahl von Spuren, die eher von Gesprächen als von Protokollen erzählen. Die Videos von Chris Kondek projizieren "King Kong"-Ausschnitte auf einen weißen Zylinderraum in der Bühnenmitte (Barbara Ehnes), als Shylocks Diener von seinem Herren erzählt. Es ist ein schönes Flirren. Aber auch ein tatsächlich zerfasertes: Wer hier als Affe und als Figur des Fremden gilt, wenn Kong die Flugzeuge abwehrt und sich der Diener zur Flucht entschließt, bleibt offen. Klar ist, dass es dieser Inszenierung um die Liebe geht. Auch Kong wollte Liebe und erntete Kugeln.

Wo das Stück am äußerlichsten über Liebe spricht, sieht Pucher allerdings erst recht schwarz. Gerade weil er die Komödie forciert: Die Werbung Portias per Kästchenwahl ist reine Castingshow. Ein großer, dunkler Spaß der Travestie. Hier ist das Pop-Theater wieder ganz bei sich, samt den mal LL Cool J, mal den Pet Shop Boys nachempfundenen Songs von Marcel Blatti.

Zur Strenge findet die Gerichtsszene. Karin Pfammatter, die davor Portia spielte, dreht und wendet das Recht, auf das Shylock pocht, bis es diesen vernichtet. Pfammater kann ihre Augen umstellen - von kühl zu glühend -, dass man um jede Kamera Angst haben müsste. Streng ist jetzt aber auch die Choreografie, oft fast ein Tableau vivant: vorne links die Venezianer, in der Mitte der Jude. Was sich bewegt, ist einzig das Gesetz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!