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Katz- und Mausspiel in der Westbank

■ Israelische Soldaten räumen täglich Hügel, die von Siedlern aus Protest gegen die Autonomiegespräche besetzt werden.

Tel Aviv (taz) – Jüdische Siedler in der Westbank greifen seit einer Woche zu radikaleren Mitteln, um gegen die Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zu protestieren. Bei diesen Gesprächen geht es um die Ausweitung der Autonomie auf die Westbank, nach dem Osloer Abkommen vom Herbst 1993 auch „Oslo Zwei“ genannt.

Unter dem Schutz der nächtlichen Dunkelheit bringen die Siedlerführer Hunderte ihrer, zumeist dem national-religiösen Lager angehörenden, Aktivisten auf die Hügel im Umfeld bereits bestehender Kolonien und geben dort die Gründung neuer Siedlungen bekannt. Die Regierung sieht diese sich täglich wiederholenden Aktionen als illegale Provokation an und fordert das für die besetzten Gebiete zuständige Militär auf, die besetzten Hügel zu räumen.

Allabendlich zeigt das Fernsehen in allen Details die gleichen dramatischen Szenen: Männliche und weibliche Soldaten schleppen Siedlerinnen und Siedler, vor allem aber deren Kinder und Freunde, zu den am Fuß der Hügel bereitstehenden Autobussen zum Abtransport. Dabei wird der ursprünglich passive Widerstand der Siedler immer „aktiver“, was ein härteres Vorgehen der Befehlshaber nach sich zieht, die bisher zu größter Vorsicht und Schonung im Umgang mit Siedlerdemonstranten ermahnt waren.

Täglich werden bei dieser fast schon zum Ritual gewordenen Konfrontation ungefähr 100 Demonstranten verhaftet, nur, um ein paar Stunden später wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden. Verzögert sich die Freilassung, randalieren die Kollegen der Inhaftierten möglichst lautstark (und bisher erfolgreich) vor dem Jerusalemer Polizeigefängnis.

Die Regierung will zwar zeigen, daß sie Herr im Hause ist, aber gleichzeitig versucht sie auch, eine ernstere Auseinandersetzung mit den Siedlern und den hinter ihnen stehenden Teilen der Opposition zu vermeiden. Schließlich wurde den Siedlern garantiert, daß der Status quo und die Absicherung der Siedlungen für die Dauer der nächsten Phasen des Osloer Abkommens, also zumindest zwei weitere Jahre, erhalten bleibt.

Siedlerführer fordern von der Regierung, daß sie an dem Verhandlunsgprozeß mit den Palästinensern beteiligt werden. Sie wollen dabei unter anderem durchsetzten, daß die ländlichen Gebiete in der Westbank auch künftig ausschließlich unter israelischer Kontrolle bleiben und daß dort unter keinen Umständen palästinensische Polizei in Erscheinung tritt. Wenn sie ihre Forderungen im gegenwärtigen Verhandlungsstadium nicht durchsetzen können, wollen die Siedler später die Realisierung eines neuen Oslo-Zwei- Abkommens zu verhindern.

Die Siedler, die sich zumindest der moralischen und ideologisch- politischen Unterstützung der rechten Oppositionsparteien erfreuen, haben auch Sympathisanten unter Anhängern von Regierungschef Jitzhak Rabin. Seine Vorsicht im Umgang mit den Siedlern und ihren Forderungen ist, wie vieles andere auch, wahlpolitisch motiviert. Gleichzeitig kann die Regierung in den Verhandlungen mit palästinensischen oder auch syrischen Partnern auf die großen innenpolitischen Schwierigkeiten hinweisen, die es der israelischen Regierung nicht gestatten, den Arabern gegenüber Konzessionen zu machen.

Die Siedler, die sich solcher Überlegungen Rabins bewußt sind, versuchen nun, ihre telegenen Operationen zu eskalieren. Schon in der kommnenden Woche soll es nicht mehr bei vereinzelten neuen Siedlungs„gründungen“ bleiben: Man will versuchen, täglich eine ganze Reihe neuer Orte gleichzeitig zu besetzen. Dazu wird allerdings die aktive Mithilfe und Nachschub junger radikaler Sympathisanten aus dem israelischen Kernland benötigt.

Technisch wäre das machbar, weil es im August noch Schulferien gibt und viele Leute im Urlaub sind. Um das Gelingen einer breiteren Aktion dieser Art zu verhindern, müßte die Regierung unverzüglich ein viel entschiedeneres Einschreiten gegen die Führer dessen demonstrieren, was die israelischen Medien bereits als „Siedler- Aufstand“ oder „Siedler-Intifada“ bezeichnen.

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