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Katrin Seddig Fremd und befremdlichDas Hoheliedder Frühlingsfrisur

Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Salon öffnet um Mitternacht. Hamburger bekommt die erste Frisur des Jahres.“ Das ist eine Schlagzeile aus der Hamburger Mopo. Und wer hätte sich ausdenken können, dass es solche Schlagzeilen überhaupt einmal geben würde?

Was hat es für unsere Gesellschaft bedeutet, dass die Leute sich nicht die Haare schneiden lassen konnten? Im Grunde ist das Thema ja eher ein untergeordnetes. Die meisten Themen, im Zusammenhang mit der Pandemie, sind ernsterer Natur und bedrohlicher. Natürlich muss die Schließung ihrer Salons für die Fri­seu­r*in­nen genauso schlimm gewesen sein, wie für alle anderen Geschäfte. Aber wie steht es mit der Unfrisiertheit der Menschheit? Was ist das für ein großes Thema? Und es ist ja eines gewesen.

Sich verzottelt in den sozialen Netzwerken zu präsentieren, war ein amüsanter Trend. Sogar Po­li­ti­ke­r*in­nen oder andere Prominente ließen sich unfrisiert sehen, und es war da immer so ein Ton dabei, der in anderen Coronathemen nicht angeschlagen wurde. Es fand eine Art öffentlich vorgezeigter Verwahrlosung statt. Jogginghose, Bauch und lange Haare, so präsentierten sich die Leute, und da gab es so eine Haltung, dass dieser Zustand nicht nur bedauert wurde. Wenn wir uns nicht ständig neu einkleiden, unsere Körper nicht mehr im Fitnessstudio trimmen und uns sogar nicht mehr frisieren lassen können, wer sind wir dann? Was bleibt am Ende solch eines äußerlich wenig formgebenden Lebens von uns übrig? Der pure, entkleidete Geist? Unser reines Selbst? Ist das nett, ist das lustig, zeigt sich so der Kern unserer Persönlichkeit, heißt das, sich von überflüssigen Äußerlichkeiten befreien oder ist es würdelos? Ist unsere gepflegte Hülle doch ein wichtiger Schutz, ein sicheres Haus, für unser empfindliches Inneres?

Im Falle der Frisur ist dies jedenfalls gesellschaftliches Thema gewesen. Nachdem ich meinem Mann die Haare geschnitten hatte, sah er sich Verdächtigungen ausgesetzt, wie alle, die frischfrisiert herumliefen.

Es gäbe da Untergrundfriseurläden, wurde gemunkelt, Kellerläden, in denen munter weiter frisiert wurde. Angela Merkel gar wurde angefeindet, weil sich an ihrer Frisur keine Veränderung zeigte, wo doch alle anderen unfrisiert zu ihren Zoom-Konferenzen erscheinen mussten.

Es fand eine Art öffentlich vorgezeigter Verwahrlosung statt. Jogginghose, Bauch und lange Haare

Ich persönlich hatte übrigens kein Problem, ich habe einfach keine Haare. Natürlich habe ich ein paar Haare, aber zu wenig, um mit ihnen einen Friseur zu bemühen. Ich drehe sie am Hinterkopf zusammen und stecke sie mit einer Spange hoch. Wenn sie zu lang sind, schneide ich sie mit einer Küchenschere ab, das sind zwei Schnitte, das kostet mich eine halbe Minute Zeit. Aber Menschen, die bisher eine richtige Frisur hatten, die mussten in diesen Zeiten ihr gewohntes Aussehen aufgeben. Und ich glaube, jenseits von aller Häme und Ironie, die dieses Thema irgendwie anzieht: Wenn ein Mensch in verschiedenen Bereichen seines Lebens mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, dann kann es sein, dass es diese kleinen, äußerlichen Dinge sind, die ihn noch aufrecht halten. Der Blick in den Spiegel. Es gibt keine andere Orientierung für Schönheit, für Zufriedenheit mit dem eigenen Gesicht, als dass es einem gefällt. Wie sollen sich Menschen im Homeoffice fühlen, wenn sie sich am frühen Morgen im Spiegel schon gleich nicht mehr gefallen? Wo sie sich doch die einzigen Kollegen sind, die einzige Gesellschaft?

Und so kann ich anerkennen, auch wenn für mich Friseursalons keine Bedeutung haben, weil ich sie nicht aufsuche, dass sie diese doch für viele Menschen haben. Weil sie diesen Menschen etwas geben, Schönheit, in Form einer Frisur, die ihnen hilft, ihre Würde zu wahren, sich zu mögen, sie selbst zu sein. Wenn ein Mensch einen Friseursalon besucht, tut er das nur für sich selbst, und das allein ist schon gut. Im Idealfall kommt er anders wieder heraus, er geht anders durch die Straße, freut sich, wenn er sein Bild im Schaufenster sieht, ist vielleicht sogar für einen Moment glücklich und fühlt sich wohl. An dieser Stelle also: Ein Hoch auf alle Friseur*innen, die so etwas schaffen!

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