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Katrin Seddig Fremd und befremdlichWir brauchen eine Front gegen einen neuen Faschismus

Foto: Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Es gibt rechts und es gibt links, und dann gibt es auch faschistisch und antifaschistisch. Ist ein Rechter ein Faschist? Ist eine Linke eine Antifaschistin, in jedem Falle? Und ist ein Antifaschist in jedem Falle auch ein Linker? Und warum hat das Antifaschistische inzwischen so einen gefährlichen Beiklang bekommen, wie konnte es dazu kommen, dass, wer gegen den Faschismus agiert, automatisch in den Verdacht kommt, gegen den Staat zu agieren? Gibt es eine Überschneidung zwischen Staatstreue und einem faschistischen Denken, dass der Staat sich vom antifaschistischen Denken bedroht fühlen kann? Oder fürchtet der Staat, dass das antifaschistische Denken per se ein Deckmantel für ein anderes, ein umstürzlerisches Denken ist, und fürchtet er es, aus diesen Ängsten heraus, mehr als das Erstarken von faschistischen Bewegungen?

Die Entwicklung ist so, dass die Nazis plötzlich vermehrt aus ihren Löchern gekrochen kommen, offener und frecher als jemals in der Nachkriegszeit, und dass antifaschistisch agierende Menschen von jenen angegriffen werden. Und, dass von staatlicher Seite zwar die demokratische Ordnung wie ein Schürzlein hochgehalten wird, aber diese sich engagierenden Menschen eben auch mit Vorbehalt betrachtet werden: Ist in ihrem sich gegen Faschisten wendendem Engagement eventuell auch etwas Unerwünschtes enthalten? Und unter diesem Schutz der staatlichen Unentschlossenheit, dieser „Neutralität“, kraucht es heran, das Ungeheuer, stärkt sich und gewinnt an Boden.

Menschen werden öffentlich bedroht, und man zuckt mit der Schulter. Menschen werden umgebracht, und man reibt sich ein Auge. Liegt nicht der Fehler tatsächlich im System, wenn das System so blind ist, gegen das, was da passiert? Wenn in ihm zunehmend gemordet und gehetzt werden kann? Wenn es keine staatliche Kraft zu geben scheint, die dieser Entwicklung entschlossen und wirksam entgegentreten kann? Wenn eine rechts gerichtete Partei mit faschistischen Tendenzen sogar Teil diesen Systems werden konnte?

Ein Bürgermeister eines kleinen Ortes in Niedersachsen ist zurückgetreten. Es ist vielleicht keine große Sache. Bürgermeister haben immer mal wieder Ärger und treten auch immer mal wieder zurück. Es ist ja, in solch einer kleinen Gemeinde, keine dankbare Aufgabe, und das Amt ein ehrenamtliches. Aber der Grund für den Rücktritt war, dass dieser Bürgermeister bedroht wurde, wegen seines antifaschistischen Engagements. Der Staatsschutz ermittelt. Stephan Weil sagt, man soll sich mit solchen Bedrohungen nicht abfinden und Heiko Maaß findet es gar „beschämend für die Demokratie“. Schämt sich jetzt die Demokratie, oder schämt sich Herr Maaß etwa selbst?

Aber wo ist das große, das parteienübergreifende und zeichensetzende Engagement gegen Faschismus? Wann werden Antifaschisten endlich offen beschützt, statt verfolgt und kriminalisiert? In Hamburg hat es im vergangenen Jahr eine größere Diskussion darum gegeben, dass Kinder Antifa-Sticker in ihrer Schule verklebten, das bewegte die Stadt, das sind anscheinend die großen Probleme unserer Zeit, das antifaschistische Engagement von Kindern.

Menschen werden öffentlich bedroht, und man zuckt mit der Schulter

Im besagten Fall mit dem Bürgermeister, der kein Held, sondern einfach ein Mensch mit Anstand zu sein scheint, sorgt sich jetzt der Ort um seinen Ruf, zweifeln andere an, was das Opfer sagt, sind wieder andere höhnisch, wie die Leute halt sind, sehen nur sich, sehen nur das, was sie ganz allein betrifft.

Was wir aber brauchen, ist eine gesamtgesellschaftliche Front gegen einen neuen Faschismus. Wir müssen alle zusammen sehr laut sein. Erst dann, wenn wir sehr viele sind, wenn wir die absolute Mehrheit sind, erst dann würden einzelne Menschen, die das tun, was jeder anständige Mensch zu tun hat, sich nicht selbst dadurch in Gefahr bringen. Aber ich bin nicht sehr optimistisch, dass wir das schaffen. Denn die Mitte scheint sich derzeit eher gegen antifaschistische Aktionen abzugrenzen, und lässt sogar ihre eigenen Leute dabei im Stich.

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