Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Irgendwann kommen wir an. Das ist alles, was dann noch zählt
Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Es ist eines der wiederkehrenden Empörungsthemen: Die Fehler der Deutschen Bahn. Der Hauptfehler der Deutschen Bahn ist, dass die Züge nicht immer oder sogar selten – je nach Empfindung und Erfahrung – pünktlich fahren. Ich bin vor Kurzem mehrfach in die Situation geraten, mehrere Stunden auf meinen Zug warten zu müssen. Da sitzt man dann da und wird ungehalten. Es ist unkomfortabel, warten zu müssen. Es bringt einen in eine Situation, in der man sich fremden Mächten, den Umständen, ausgeliefert fühlt. Man hat keinen Einfluss mehr, und das macht die meisten Leute verrückt.
Ich weiß nicht, ob es sie mehr verrückt macht, als in einem Stau zu stehen, wo sie immerhin, zwischendurch, ein bisschen auf das Gaspedal treten können, wenn es ein paar Meter weitergeht, oder wo sie den Sender an ihrem Radio verstellen können, wo sie dann, wenn es wieder ein Stück weitergeht, vielleicht auch mal die Spur wechseln und einen anderen Autofahrer ganz geschickt überholen können, auch wenn der dann sie bei der nächsten Gelegenheit wieder überholt. Die Bahnfahrer können nichts machen als warten und angestrengt den Durchsagen lauschen. Sie kommen nicht einen Meter vorwärts, wenn sie am Bahnsteig warten, sie sind nach Stunden immer noch an derselben Stelle und vielleicht ist es das, was sie so wütend macht, dass sie gar nichts tun können, nicht einmal mit Wut.
In den beiden Fällen, in denen ich kürzlich so lange warten musste, waren Stürme die Ursache der Bahnverspätungen gewesen, jetzt hat das Sturmtief Mortimer dafür gesorgt, dass es in Niedersachsen wieder Zugausfälle und Verspätungen gegeben hat. Und wieder geht das Lamento los, die Bahn ist nicht verlässlich, die Bahn hat Schuld, die Bäume sollten abgesägt werden, dann könnten sie nicht auf die Bahnstrecken fallen usw. Und manchmal unterhält man sich mit Menschen, die eine Weile in Indien waren, zum Beispiel, und die erzählen dann Geschichten, wie Bahnfahren in Indien geht. Die lächeln dann müde, über die Beschwerden der Deutschen über die Deutsche Bahn. Wir wollen, dass alles funktioniert, dass es klappt, dass wir in der Zeit sind.
Die Zeit ist für uns ein sehr wichtiger Faktor. Wir wollen zu einer bestimmten Zeit irgendwo ankommen, umsteigen vielleicht, wir haben einen Plan. Wir sind eine große Wirtschaftsnation. Wir sind effizient, wir Deutschen. Nur mit der Bahn, da klappt es nicht richtig. Die Tickets sind teuer, im europäischen Vergleich, und es klappt dennoch nicht. Wir bekommen nicht, was wir erwarten. Und das wird nicht besser.
Gehen wir mal davon aus, dass uns Stürme, zum Beispiel, in Zukunft häufiger heimsuchen, aufgrund des rasend schnell auf uns zukommenden Klimawandels. Stürme sind für die Bahn ein großes Risiko. Stürme sind, nebenbei, für uns alle ein großes Risiko. Nicht nur für unsere Mobilität. Extremwetterlagen sind ein Risiko für die Bahn. Große Hitze, Überschwemmungen, wochenlanger Regen, Stürme, Frost, das alles kann die Bahn lahmlegen. Was folgt daraus? Wir können noch so wüten, wir werden zukünftig öfter warten müssen. Wir müssen uns auf Verspätungen einstellen, auf sehr viele Verspätungen.
Wir müssen auf Bahnhöfen warten. Wir werden auf Autobahnen stehen, denn auch Straßen werden durch Stürme oft nicht mehr befahrbar. Keine noch so gute Organisation der betrieblichen Vorgänge bei der Deutschen Bahn – und die ist sicherlich verbesserbar – wird dies verhindern können. Wir werden es begreifen müssen: Mit der Kontrolle ist es irgendwann vorbei. Es nützt nichts, sich zu beschweren. Wir können dieses Rad nicht mehr zurückdrehen. Natürlich geht das nicht so schnell. Natürlich werden noch Ersatzzüge bereitgestellt. Natürlich geht es in ein paar Stunden dann doch weiter. Natürlich können wir uns am Bahnhof in ein Restaurant setzen und Kaffee trinken, denn wir Bahnfahrer können uns das leisten. Wir sind nicht die Ärmsten der Armen. Aber wir werden alle lernen müssen, demütig zu sein. „Irgendwann“ ist dann das Wort. Irgendwann kommen wir an. Das ist alles, was dann noch zählt.
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