Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Die Schönheit eines vergammelten Zirkusgebäudes sehen viele nicht
In Hamburg soll derzeit vieles abgerissen werden. Das Abreißen ist ja sowas wie den Keller aufräumen. Weg damit! Ich räume derzeit den Keller aus, und ich finde es befreiend. Kann man das noch gebrauchen? Weg damit! So läuft das ab. Ich überlege kurz, aber ich will umziehen, ich brauche Platz, ich will mich nicht belasten: Weg damit!
So ist das auch mit dem Abreißen von Gebäuden. Sie bringen ja kein Geld ein, wenn sie da nur so stehen bleiben und man nichts mit ihnen anstellt. Die alte Schilleroper in Hamburg ist ein sehr hübsches Beispiel für das Stehenlassen von Gebäuden und nichts mit ihnen anfangen. Sie hat eine Geschichte hinter sich, die einen eigenen Roman verdient hätte. Vielleicht schreibt mal einer einen Roman über die Schilleroper. Dramatische, schillernde Geschichten könnte man erzählen, über Artisten und Elefanten, über Häftlinge, Flüchtlinge und Obdachlose, über Käufer, die ein Gebäude kaufen und es dann verfallen lassen.
„Ich als Grundbesitzer möchte selber entscheiden, ob ich was abreiße oder saniere“, sagt einer in einem Kommentar. „Enteignen!“, fordert ein anderer. Enteignen. Wem gehört ein Gebäude, das geschützt ist? Dem Eigentümer doch wohl. Aber, wie es in Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz heißt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Sie als Grundbesitzer können also nicht so vollkommen selber entscheiden, ob Sie was abreißen oder sanieren, Herr Kommentator. Man muss sehen, ob dieser Abriss dem Wohle der Allgemeinheit dient.
Und das ist dann auch wieder eine Schwierigkeit. Manche sind da der Meinung, die Allgemeinheit braucht eher Wohnungen als ein altes, vergammeltes Zirkusgebäude. Sie sehen auch nicht die Schönheit oder den Wert eines alten, vergammelten Zirkusgebäudes. Und das kann man ihnen nicht vorwerfen. Es ist vielleicht sogar irrelevant. Es wird ja nicht nur uns etwas abgerissen, es wird ja auch unseren Nachkommen etwas abgerissen. Unsere Nachkommen möchten vielleicht ganz gerne etwas haben von der Vergangenheit. Und deshalb muss so eine Entscheidung von Leuten getroffen werden, die sich darauf verstehen.
Die Schilleroper soll einzigartig sein, heißt es. Einzigartig wegen ihrer spektakulären Stahlkonstruktion. Und die ist geschützt. Die Stahlkonstruktion. Ich weiß, dass viele Menschen an einer Stahlkonstruktion nichts Schönes finden können. Sie mögen Stuck und dicke Engel an der Fassade, alte Stahlkonstruktionen sind ihnen nicht so besonders hübsch. Aber was herauskommt, wenn der durchschnittliche Mensch seinem persönlichen Geschmack folgt, kann man in Einfamilienhaussiedlungen in der Vorstadt bestaunen. Und das sei ihm von ganzem Herzen gegönnt, ohne Häme. Aber darüber hinaus gibt es mehr, was zählt.
Es ist hilfreich, sich mit der Geschichte der Schilleroper zu beschäftigen, sich das Gebäude selber einmal anzusehen, um einen Zugang dazu zu finden. Die Stadt hat lange genug verhandelt. Es regnet rein. Das Dach ist kaputt. Und jetzt muss die Eigentümerin, eine Immobiliengesellschaft, reparieren. Wenn sie nicht repariert, repariert die Stadt, Zwangssanierung heißt das, auf Kosten der Eigentümerin. Und jetzt, hoffe ich, muss doch was passieren. Jetzt, wo die Geld ausgeben werden müssen. Und warum es so lange gedauert hat, bis die Stadt sich zu diesem Schritt entschlossen hat.
Denn verhandelt wird ja schon seit den Neunzigerjahren. Und seitdem gab es auch immer wieder die Forderung nach Enteignung. Der Abriss wurde geplant, dann gab es diverse Sanierungskonzepte, Klagen auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans von Seiten der Eigentümer sowie Klagen und Zwangsmaßnahmen gegen die Eigentümer, die immer eingestellt wurden. Jetzt endlich könnte es doch mal zu etwas kommen, und sei es nur eine Dachsanierung. Wird es der Stadt nach Jahren und Jahrzehnten gelingen, in Sachen Schilleroper endlich einen einzigen Schritt weiterzukommen? Wird am Ende vielleicht die Schilleroper doch noch saniert werden?
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