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Katrin Seddig Fremd und befremdlichDie meisten Leute haben etwas zu verbergen und das sollen sie auch

Foto: Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

G-20 ist immer noch Hamburgs größter Zankapfel. Am meisten darüber wissen die, die nicht dabei waren. Es ist ganz einfach. Es gibt die anständigen Menschen, die sitzen halt auf ihrem Sofa und schreiben Kommentare, und es gibt die Randalierer, das sind die, die auf Demonstrationen gehen. Ein anständiger Mensch presst seinen ganzen Unmut in Online-Kommentare zu Online-Artikeln.

Jetzt gibt es im Zusammenhang mit G-20 wieder Streit. Die Polizei möchte eine Gesichtserkennungssoftware nutzen, die es ihr erleichtert, aus dem angesammeltem Datenmaterial, die richtigen Menschen herauszufinden. Sie zu erkennen. Wer diese „richtigen Menschen“ sind, die herausgefunden werden sollen, das weiß die Polizei. Potentielle Straftäter, sagen sie. Erkannt werden aber vorerst alle Menschen, die dort waren. Ich werde erkannt. Ich war dort, ich schreibe Kolumnen für die taz, like bestimmte Artikel, habe da und dort einen eigenen Kommentar hinterlassen. Das lässt auf jeden Fall Schlüsse zu.

Womöglich bin ich schon ein Mensch, den jemand für einen potentiellen Straftäter hält. Man weiß es nicht. Ich bin in der DDR aufgewachsen, und da war es halt so, dass alle Leute mehr oder weniger überwacht wurden. Besonders natürlich die, die sich kritisch äußerten. Das wurde vor allem von den DDR-Bürgern als schlimm empfunden, die es direkt betraf. Oder die wenigstens im Nachhinein erfuhren, dass sie betroffen waren. Der Rest inte­ressierte sich nicht besonders dafür. Er hatte ja „nichts zu verbergen“. Was diese Art von Überwachung angeht: Sie war im Grunde, so aus heutiger Zeit betrachtet, dilettantisch. Zum einen, weil die Menschen heute dazu neigen, ihre Daten selbst in öffentlichen Netzwerken preiszugeben, ihre politischen Überzeugungen, ihre Freundschafts- und Verwandtschaftsverhältnisse, ihre Konsum- und geschlechtlichen Vorlieben, und zum anderen, weil auch dem Staatsapparat, der Polizei, ganz andere Mittel zur Verfügung stehen als damals.

Welche Gefahr damit verbunden ist, das sehen viele ebenso wenig wie damals. Denn sie haben ja „nichts zu verbergen“. Immer wenn solch ein Mensch mir sagt, er hätte nichts zu verbergen, dann frage ich mich, was dieser Mensch doch zu verbergen hat. Die meisten Menschen haben eine ganze Menge zu verbergen. Darum ziehen sie nämlich ihre Gardinen zu. Darum erzählen sie nicht allen Menschen alles, zum Beispiel nicht denen, die Macht über sie haben, denen gegenüber sie sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden, zum Beispiel ihrem Arbeitgeber.

Datenschutz bedeutet auch Schutz der Privatsphäre. „Was ich zu Hause mache, das geht keinen was an“, hieß das früher. Heute ist die gegenteilige Haltung populär. Die eigenen Kinder, der eigene Körper, die Wohnung, der Mittagstisch, das alles wird öffentlich hergezeigt. Vielleicht ist das nicht der Acker, auf dem Verständnis für das Recht auf Schutz der eigenen Daten gedeiht.

Datenschutz bedeutet auch Schutz der Privatsphäre

Der Hamburger Datenschutzbeauftragte, Johannes Caspar, hält jedenfalls den Einsatz der Software, die die Polizei einzusetzen gedenkt, für unzulässig, und darum wird das jetzt gerichtlich geklärt. „Es ist an der Zeit, endlich die Menschen zu schützen statt der Daten“, sagt ein Kommentator dazu. Und das bringt es auf den Punkt. Unter Menschen kann man sich was vorstellen. Aber Daten? Warum soll man Daten schützen wollen? Und das ist es doch wohl, was die Datenschützer treiben. Daten beschützen.

„Wer unsere Demokratie schützen will, kann nicht gegen Gesichtserkennung sein“, sagt der Nächste. Datenschutz gehört für ihn offensichtlich nicht zur Demokratie. Datenschutz ist irgendetwas, was für den „normalen Menschen“, der eben kein Randalierer ist, keine Bedeutung hat, weil er nichts zu verbergen hat. Was soll man solchen Leuten sagen? „Stellt euch vor, was jemand wie, sagen wir mal Adolf Hitler, mit so einem Schatz an Daten, was der damit heute anstellen würde.“ Aber ich weiß nicht, ob das helfen würde.

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